Eine Region erfindet sich neu
Bald endet im westrumänischen Valea Jiului die Ära des Bergbaus und der Kohleverstromung. Jetzt müssen sich die Menschen neue Perspektiven schaffen. Erste Projekte markieren den Beginn des großen Strukturwandels.
Oktober 2022
Autor: Dominik Vorhölter
Strukturwandel im Schiltal: Auf dem Gelände des ehemaligen Bergwerks Petrila entsteht ein Kultur- und Museumsbereich. © Dominik Vorhölter
Der Hügel leuchtet saftig grün, ein mit Steinen gepflasterter Weg schlängelt sich hinauf. Am Wegesrand stehen Bänke, daneben Laternen, bestückt mit Solarpanels. Kaum jemand würde vermuten, dass der Hügel eigentlich eine Halde ist. Unter der Oberfläche lagern Tonnen von aufgeschüttetem Gestein aus der Petrila-Mine, der einst größten Steinkohlemine im westrumänischen Valea Jiului, zu Deutsch: Schiltal.
Ende 2015 wurde die Mine geschlossen, jetzt entsteht hier ein Erholungsort. „Der Park soll bald eröffnet werden“, sagt Adina Vințan. Sie arbeitet für die Weltbank, die sich im Valea Jiului im Bereich Stadtentwicklung engagiert. Sie hat außerdem die Bürgergesellschaft Valley Society gegründet und wirkt bei der Vereinigung Involved Jiu Valley Coalition mit, die verschiedene regionale Tourismus-, Kultur- und Wirtschaftsvereine zusammenbringt, und will so die rund 135.000 Menschen im Valea Jiului für den Strukturwandel in ihrer Region sensibilisieren und motivieren.
Große Veränderungen stehen bevor
Spätestens im Jahr 2032 werden die letzten der vier Bergbauminen geschlossen, die heute noch jährlich rund 22 Millionen Tonnen Kohle fördern. Der Kohlebergbau prägte mehr als 150 Jahre das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben der Menschen, und schaffte Tausende Arbeitsplätze. Das ändert sich nun, vergleichbar wie in der ostdeutschen Region Lausitz. Das Schiltal gehört wie auch die Lausitz zu einer von insgesamt neun Kohleregionen in Europa, die vor einem Strukturwandel stehen.
Wie die Zukunft aussehen könnte, beschreibt eine von der Europäischen Union in Auftrag gegebenen Studie zum Strukturwandel im Valea Jiului. Die Vision: Das Schiltal könnte zum beliebten Tourismusziel werden und ein Zentrum für Forschung und Entwicklung beheimaten, in dem innovative Technologien entwickelt werden. Das könnte zahlreiche Investoren anziehen, beispielsweise aus der Elektro- und IT-Industrie. Damit dies gelingt, stellt die Europäische Union Rumänien im Rahmen des Just Transition Fund bis zum Jahr 2027 rund 15,3 Milliarden Euro bereit. Die Fördermittel sollen helfen, die Kohleregion wirtschaftlich widerstandsfähig zu entwickeln.
Die ersten Vorboten des neuen Schiltals gibt es schon. Hinter der einstigen Halde liegen Bahngleise, die die ehemaligen Minen Petrila und Lonea verbinden. Die Strecke soll nun für eine Fahrraddraisine umfunktioniert werden – bald womöglich eine Touristenattraktion. Die Draisine wird wie ein Fahrrad mit Pedalen angetrieben, ihre vier Räder laufen auf den Gleisen wie eine Eisenbahn. „Das Projekt haben wir mit einer Gruppe von Bürgern gemeinsam mit den Behörden umgesetzt“, sagt Stadtentwicklerin Vințan. Auch der örtliche Wanderverein Floreara Reginei hat sich für die Umnutzung der Schmalspurbahn eingesetzt.
„Das Projekt scheint auf den ersten Blick zwar unbedeutend, aber es zeigt, dass sich die Menschen vor Ort am Strukturwandel beteiligen“, sagt Vințan. Sie glaubt an das touristische Potenzial der Region, vor allem für den Wintersport. „Immer mehr Menschen verdienen sich etwas mit der Vermietung von Ferienzimmern dazu“, sagt Vințan.
Viele Schiltal-Bewohner brauchen bald eine neue Einkommensquelle. Derzeit beschäftigt der Bergbau noch rund 2.500 Menschen. Sie arbeiten für den Hunedoara Energy Complex, der die Bergbauminen Exploatarea Minieră (EM) Lonea in Petrila, EM Livezeni in Petroșani, EM Vulcan in Vulcan und ein Heizkraftwerk in Petroșani betreibt. Das Staatsunternehmen ist schon jetzt auf Beihilfen vom rumänischen Staat angewiesen, um sich den Betrieb der Anlagen und den Kauf von Co2-Emissionszertifikaten leisten zu können. Ab 2032 soll ganz Schluss sein mit dem Bergbau.
Von Kohle zu Erneuerbaren
Auch wenn Hunedoara Energy Complex aus dem Bergbau aussteigt, gibt es dennoch wirtschaftliche Perspektiven. Im März 2022 versprach das Energieministerium dem Unternehmen 42 Millionen Euro Beihilfen. Im Gegenzug verpflichtet sich Hunedoara Energy Complex, sein Heizkraftwerk in Petroșani zu modernisieren. Es hat eine Kapazität von 150 Megawatt. Dafür braucht das Staatsunternehmen allerdings Investoren, die unter anderem in Energiespeicherverfahren wie Power-to-Gas-Anlagen investieren, um Wasserstoff oder Methan zu produzieren. Für dieses Vorhaben sind Investitionen in Höhe von 200 Millionen Euro erforderlich, heißt es in der Studie von Pricewaterhouse Coopers zum Strukturwandel im Valea Jiului. Bis zum Jahr 2026 sollen zudem neue Kapazitäten für eine Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen entstehen. Das Energieministerium hat vor, landesweit 3.000 Megawatt installierte Leistung aus Solar- und Windkraft zu erreichen.
Die stillgelegte Mine Petrila soll sich derweil zu einem administrativen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Zentrum entwickeln, nach dem Vorbild der Zeche Zollverein in Essen. Erste Schritte geht der Verein Planeta Petrila mit einem Robotikwettbewerb, dem Robotics Valley. Hier präsentieren Tüftler seit nunmehr drei Jahren selbst entworfene Roboter und IT-Lösungen. Mit dabei ist Architekt und Stadtentwickler Mihai Danciu: Er hat das Projekt Planeta Petrila gegründet, benannt nach dem gleichnamigen Dokumentarfilm aus dem Jahr 2016. Der Film zeigt das Ende der Petrila-Mine und begleitet die Menschen vor Ort dabei, wie sie mit dem Strukturwandel umgehen und gleichzeitig das Bergbauerbe erhalten.
Street-Art erinnert an die Mine
Im Stadtzentrum von Petroșani erinnert seit dem Sommer 2020 ein Street-Art-Kunstwerk des rumänischen Graffitikünstlers Irlo an das Bergbauerbe. Das Projekt hatte die Involved Jiu Valley Coalition gemeinsam mit Greenpeace im Jahr 2020 umgesetzt. In leuchtenden Farben zeigt es Bergarbeiter, die neben Solaranlagen und Robotern stehen – ein Wink in Richtung Zukunft.
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