Oktober 2019
Autoren: Kilian Dick, Achim Haug, Sofia Hempel, Corinna Päffgen, Gloria Rose und Heiko Stumpf
Mitten in Köln steht ein riesiges Kraftwerk. Mit einer Leistung von mehr als sieben Gigawatt hat es mehr Kapazität als alle Offshorewindkraftanlagen in Deutschland zusammen. Über ein zentrales Leitsystem in Köln bündelt Next Kraftwerke mehr als 8.100 in Europa verteilte, dezentrale Erneuerbare-Energien-Anlagen. Als digitaler Versorger vermarktet die Firma den Strom dann: als Händler an der Strombörse oder als Regelenergieanbieter für Netzbetreiber.
Pioniere der Energiewende gibt es viele in Deutschland. Auch weil sich die Bundesrepublik entschieden hat, früher als andere Staaten die erneuerbaren Energien zu fördern, um auf eine nachhaltigere Stromerzeugung umzustellen. Im internationalen Wettbewerb gehört sie daher mit zu den Vorreitern.
Die Rohstoffe für die Geschäftsmodelle des künftigen Energiesystems sind nicht Kohle oder Öl, es sind Solar- und Batteriezellen, Windgeneratoren und vor allem Daten. Weil der Ausbau kleiner, dezentraler erneuerbarer Energien hierzulande so weit fortgeschritten ist, sind sie reichlich vorhanden: Bundesweit sind mehr als 1,7 Millionen dezentrale Anlagen für erneuerbare Energien installiert. Im ersten Halbjahr 2019 wuchs ihr Anteil an der deutschen Stromerzeugung auf 47,7 Prozent, das ist Platz vier im weltweiten Vergleich.
Die deutsche Energiewende ist eine Art Trainingslager für heimische Spezialisten. Zehn der 28 europäischen Unternehmen, die es in die Top-100-Liste der Cleantech-Unternehmen der Welt geschafft haben, kommen aus Deutschland. Das hat die Cleantech Group in San Francisco 2019 ermittelt. Der Energy Transition Index (ETI) des World Economic Forum, der misst, wie die Energiewende in einzelnen Ländern vorankommt, sieht Deutschland im Indikator „innovatives Geschäftsumfeld“ auf Platz drei von 115, nur die USA und Israel sind noch besser.
Das Umspannwerk des Offshorewindparks Arkona, 35 Kilometer nordöstlich von Rügen. 60 Windturbinen von Siemens erzeugen hier 385 Megawatt Strom. Die Eon-Anlage kann rechnerisch bis zu 400.000 Haushalte mit Elektrizität versorgen. Es sind solche Projekte der erneuerbaren Energien, an denen sich deutsche Spezialisten früh üben konnten. Das kommt ihnen nun im internationalen Wettbewerb zugute. © Paul Langrock/Zenit/laif
Ob große Fotovoltaikparks vom rheinland-pfälzischen Projektentwickler Juwi in Vietnam, Batterie-Heimspeicher-Systeme vom deutschen Hersteller Varta in Australien, Microgrids von Siemens in Brasilien oder die Direktvermarktung von Strom aus erneuerbaren Energien durch das virtuelle Kraftwerk von Next Kraftwerke in europäischen Strommärkten: Deutsche Unternehmen exportieren diese Lösungen und tragen so weltweit zur Energiewende bei.
Den Startschuss hat Deutschland selbst gegeben. Hiesige Firmen laufen bislang noch in der Spitzengruppe mit. Doch es sind noch viele Teilstrecken zurückzulegen – denn die globale Energiewende gleicht eher einem Triathlon als einem Marathon. Es geht nämlich nicht nur um die Stromwende, sondern auch um Transformationen im Wärme- und Verkehrssektor. Und hier ändern sich die Tempomacher immer wieder. Dazu kommt: Nicht alle Athleten – beziehungsweise Weltregionen – sind mit den gleichen Voraussetzungen ausgestattet.
POWER-IDEEN
Strom für jedermann in Afrika
In Afrika fehlt es am Grundlegendsten – rund 600 Millionen Menschen leben dort beispielsweise ohne Zugang zu Elektrizität. Energiewende bedeutet in Afrika also in erster Linie die Bekämpfung von Energiearmut, indem neue Energiekapazitäten aufgebaut werden. Flächendeckende Stromnetze existieren entweder nicht oder es kommt regelmäßig zu Versorgungsausfällen und Unterbrechungen. Off-Grid-Lösungen mit Fotovoltaik- und Windanlagen sind dabei dezentrale Lösungen für das Energieproblem. Gerade die Bedingungen für die umweltfreundliche und kostengünstige Solarenergie sind in Afrika optimal, denn die Sonne scheint mehr als 300 Tage im Jahr.
Investitionen scheitern allerdings oft an fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten. Entweder bieten lokale Banken erst gar keine Darlehen an oder verlangen, wie in Ghana, Zinsen in Höhe von 35 bis 40 Prozent. Gute Möglichkeiten haben deshalb Anbieter, die die Finanzierung gleich mitbringen.
Doch es gibt erste Erfolgsmodelle mit innovativen Lösungen, die auf Crowdfunding setzen, teilweise realisiert mithilfe der Blockchain-Technologie. So bietet das deutsche Unternehmen Ecoligo das Konzept Solar as a Service an (s.u.). Das heißt: Gewerbe- und Industriekunden bekommen eine von Privatanlegern finanzierte Solaranlage auf ihr Dach und zahlen dafür einen monatlichen Festpreis. Ähnlich funktioniert das Geschäftsmodell der Thüringer Firma Maxx-Solar & Energie. Über Crowdfunding sammelt das Unternehmen Geld für Solaranlagen für Krankenhäuser und Schulen in Simbabwe ein.
Die Blockchain-Technologie, welche die Basis für die Kryptowährung Bitcoin bildet, fungiert dabei als eine Art digitale Geldbörse. So können internationale Geldtransfers ohne Banken durchgeführt werden – gerade in Afrika scheitern Transaktionen nämlich häufig am fehlenden gegenseitigen Vertrauen der Partner. Dank Blockchain sind Transaktionen völlig transparent, sogenannte Smart Contracts legen Zahlungsbedingungen fest, machen Betrug oder Korruption nahezu unmöglich – und tragen so ein Stück weit zum Vertrauen der Geschäftspartner bei.
Laut der Internationalen Agentur für erneuerbare Energie (IRENA) wird sich die Stromnachfrage in Afrika bis 2030 verdreifachen. Beim Ausbau der Energieversorgung setzen viele afrikanische Regierungen dabei auch auf erneuerbare Energien und haben nationale Förderprogramme eingeführt. Wichtigste Instrumente sind Steuernachlässe, Ausschreibungen, Einspeisetarife und Net Metering. Bis 2030 könnte der Anteil am Strommix auf 25 Prozent gesteigert werden, derzeit liegt er bei weniger als 20 Prozent. Und: Bis 2050 könnte nach Ansicht von Experten die afrikanische Stromerzeugung fast ausschließlich über erneuerbare Energien erfolgen.
Ecoligo: Crowdinvestments für Schwellenländer
Die Berliner Ecoligo GmbH bietet eine vollständig finanzierte Solar-as-a-Service-Lösung für Unternehmen in Entwicklungs- und Schwellenländern an – und schließt so eine Finanzierungslücke. Die Finanzierung erfolgt über die Crowdinvesting-Plattform Ecoligo Investments. Knapp 900 Privatanleger haben bislang insgesamt 2,8 Millionen Euro in 28 Solarprojekte in Ghana, Kenia und Costa Rica investiert. Eine Win-win-Situation für alle Beteiligten: Die Unternehmen vor Ort können ihre Stromkosten dank Solarenergie senken, die lokalen Dienstleister verkaufen mehr Solaranlagen und Wartungsleistungen, die Crowdinvestoren in Deutschland erhalten Zinsen, die weit über dem deutschen Zinsniveau liegen, und stärken gleichzeitig die Wirtschaft vor Ort.
© Chala Cadot
Erneuerbare Energien in Asean
In Südostasien ist der Energiezugang der Bevölkerung schon deutlich besser. Hier besteht die Herausforderung darin, mit dem Wirtschaftswachstum Schritt zu halten und gleichzeitig die Energiewende einzuleiten. Bis 2025 sollen mindestens 23 Prozent der Primärenergieversorgung aus nachhaltigen erneuerbaren Energiequellen stammen, so das Ziel des Verbands Südostasiatischer Nationen (Asean). Thailand hat 2006 als erstes Land mit einem Einspeisetarif für Solarstrom die Entwicklung vorangetrieben, andere Länder folgten.
In Vietnam führte ein solcher Tarif zu einem regelrechten Boom: Im Frühjahr 2019 haben Unternehmen rund vier Gigawatt Kapazitäten ans Netz angeschlossen, bis Jahresende sollen es rund 5,1 Gigawatt sein. „Der Einspeisetarif in Vietnam war für uns positiv“, sagt Christian Hinsch, Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit beim Solarparkprojektierer Juwi. Der Mittelständler aus Rheinland-Pfalz hat drei Ausschreibungen für Solarparkprojekte gewonnen (s.u.). Wer vom Einspeisetarif profitieren wollte, musste seine Anlagen allerdings bis Ende Juni 2019 installiert haben, denn dann endete die Förderung. „Das führte zu einem regelrechten Wettlauf um Ressourcen wie Bauleistungen“, sagt Hinsch. Derzeit ist unklar, ob Vietnam das Programm fortsetzt. Einzelne Provinzen planen eigene Fördermittel.
Auch die thailändische Regierung hat die Vergütung für erneuerbare Energien 2018 reduziert. Trotzdem gilt das Land als Vorbild in der Region: Bis Ende 2019 will es rund 3,5 Gigawatt Solarkapazitäten erreichen. Förderlich soll der Mitte 2019 in Kraft getretene Stromentwicklungsplan sein, wonach der Anteil erneuerbarer Energien bis 2037 auf 20 Prozent steigen soll.
Dafür braucht es vor allem leistungsfähige Anlagen, denn der Stromverbrauch soll sich nach IRENA-Schätzungen bis zum Jahr 2025 verdoppeln. Das Bruttoinlandsprodukt soll bis 2022 um rund fünf Prozent pro Jahr zulegen, damit zählt die Region zu den dynamischsten der Welt. Zum anderen ändern sich die Lebensbedingungen rasant: Immer mehr der 640 Millionen Einwohner ziehen in die Megacitys und erhöhen ihren Wohlstand. Es dürfte also schwer werden, die ambitionierten Ziele zu erreichen.
Kohle und Gas werden allerdings wichtige Energielieferanten bleiben. Immerhin werden die in Südostasien weitverbreiteten Wasserkraftwerke ihre dominante Stellung bei der Erzeugung erneuerbaren Stroms behalten. Derzeit stehen sie für drei Viertel der Kapazitäten an erneuerbaren Energien in Südostasien, an zweiter Stelle kommt Biomasse. Für die Philippinen spielt Geothermie eine herausgehobene Rolle. Indonesien hätte sogar das Potenzial, zum zweitgrößten Erdwärmeproduzenten der Welt zu werden.
Juwi: Solarparks für Südostasien
Juwi ist einer der größten Projektentwickler in Deutschland und auch international ist die Firma aus Rheinland-Pfalz aktiv: in Südostasien etwa in Thailand, Malaysia, Indonesien und den Philippinen. Auch in Vietnam (Foto) zog Juwi im Jahr 2018 drei Projekte an Land und baute Solarkraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 130 Megawatt. Einfach war das nicht: „Der Weg vom Hafen zum künftigen Solarpark war buchstäblich steinig, der Untergrund schwierig zu bearbeiten“, sagt Valerie Speth, Regionaldirektorin Asien-Pazifik. Und dann überschwemmte noch ein Zyklon zwischenzeitlich die Baustelle. Trotzdem wurde das Projekt termingerecht im Juni 2019 fertig.
© juwi
Digitale Netzlösungen in Brasilien
In Lateinamerika steht derweil die Modernisierung der Stromnetze weit oben auf der Agenda, denn die veraltete Infrastruktur führt immer wieder zu Stromausfällen. Zum Beispiel in Brasilien, dessen Stromversorgungsnetze als besonders ineffizient gelten. Ein Pilotprojekt im Bundesstaat São Paulo zeigte, dass etwa doppelt so viel Strom durch Netzineffizienzen verloren geht wie durch den weitverbreiteten Stromdiebstahl. Einzelne Versorgungskonzerne wie Energisa versuchen durch kontinuierliche Messungen und Datenanalysen Energie zu sparen. Andere scheuen die hohen Kosten für die Installation Tausender Sensoren – die Netzdigitalisierung setzt in Brasilien gerade erst ein. Aufgrund der großen Einsparpotenziale dürfte sie aber relativ schnell voranschreiten.
Da ständig neue Windparks und Fotovoltaikanlagen entstehen und die Stromerzeugung immer dezentraler wird, steigen – wie in Deutschland auch – die Anforderungen an Brasiliens Stromnetz. Bis zum Jahr 2023 muss etwa die Hälfte der Ausrüstung entlang der 135.000 Kilometer langen Leitungsstrecke des Verbundnetzes erneuert werden, so die Angaben des Verbands der Übertragungsnetzbetreiber Abrate. Für die Modernisierung dürften die Konzessionäre Verbandspräsident Mário Dias Miranda zufolge jährlich über 150 Millionen Euro investieren. Laut dem Zehnjahresplan der Energieplanungsbehörde EPE soll das Verbundnetz bis 2027 auf etwa 200.000 Kilometer Leitungsstrecke ausgebaut werden. Dafür sind Investitionen von umgerechnet insgesamt 25 Milliarden Euro erforderlich.
Die Konzessionen sind heiß begehrt. Die nächste Versteigerung ist für Ende 2019 angesetzt und soll etwa eine Milliarde Euro einbringen. Gleichzeitig schreitet die Marktliberalisierung voran: 2018 verkaufte der Staatskonzern Eletrobras sechs Vertriebstöchter an die Privatwirtschaft. Jetzt sollen Eletrobras selbst und der ebenfalls halbstaatliche Konzern Cemig privatisiert werden.
Um den Anschluss nicht zu verlieren, müssen deutsche Unternehmen das heimische Trainingslager verlassen.
Siemens: Dezentrales Stromnetz in Brasilien
Der Technologiekonzern Siemens hat für den brasilianischen Energieversorger Centrais Elétricas do Pará zwölf sogenannte Microgrids installiert. Sie sind seit Ende vergangenen Jahres in Betrieb. „Wir haben dafür mehrere dezentrale Kraftwerke im Bundesstaat Pará aufgebaut“, sagt Sergio Jacobsen, CEO von Siemens Smart Grid in Brasilien. Über eine zentrale Leitstelle lassen sich die autarken Inselnetze überwachen und steuern. Siemens liefert und installiert die Automatisierungs-, Schutz- und Steuerungstechnik für alle Anlagen. Die am weitesten entfernten Generatoren liegen 890 Kilometer auseinander. Mit einer Gesamtleistung von 80 Megawatt versorgen sie etwa 160.000 Menschen mit Energie.
© Ricardo Lima
Digitales Europa
Europa ist da weiter. Die Strommärkte sind liberalisiert, die Integration des Energiebinnenmarktes geht voran. Zur steigenden volatilen Einspeisung dezentraler erneuerbarer Energien kommen künftig Hunderttausende Elektroautos, Batteriespeicher und Wärmepumpen hinzu. Eine Entwicklung, die ohne tief greifende Digitalisierung des gesamten Energiesektors nicht zu stemmen ist.
Die Basis bilden dabei intelligente Messsysteme und Zähler, die schon heute zahlreiche neue Geschäftsmodelle hervorbringen. Ob Smart Grids von Siemens, das virtuelle Kraftwerk von Next Kraftwerke (s.u.) oder Peer-to-Peer-Stromhandel durch Blockchain-Technologien von Anbietern wie Lition: Durch die erste Phase der Energiewende sind gerade in Deutschland zahlreiche innovative Unternehmen entstanden, deren Geschäftsmodelle auf digitalen Tools basieren.
So zum Beispiel Next Kraftwerke. Das Unternehmen stattet Erzeuger und Verbraucher mit seiner Fernsteuereinheit Next Box aus und vernetzt sie in seinem digitalen Leitsystem. „Die Idee ist, Strom dann zu produzieren, wenn die Preise hoch sind, weil das Angebot gering ist. Und anders herum, Strom zu konsumieren, wenn die Preise niedrig sind, weil das Angebot hoch ist“, sagt Hendrik Sämisch, Mitgründer und Geschäftsführer von Next Kraftwerke.
Je nach Anlage handelt das Unternehmen den produzierten Strom im Rahmen der Direktvermarktung an der Börse oder stellt ihn als Regelenergie für die Netzbetreiber zur Verfügung. „Durch die Bereitstellung dieser Flexibilität sorgen wir außerdem für mehr Effizienz, davon profitiert das System als Ganzes“, ergänzt Jochen Schwill, Mitgründer und Geschäftsführer. In Europa sind die Kölner bereits in sieben weiteren Märkten aktiv, jeweils in Ländern, in denen das Pooling von Anlagen zulässig und der Markt dahingehend liberalisiert ist, dass Next Kraftwerke als Aggregator am Strommarkt teilnehmen kann.
Next Kraftwerke: Virtuelles Kraftwerk vernetzt Europa
Biogas, Solar, Windkraft, Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Wasserkraft und Biomethan – all diese Stromproduzenten bündelt das virtuelle Kraftwerk des Kölner Unternehmens Next Kraftwerke. „Wir vernetzen Erzeuger, Verbraucher und Speicher in einer Plattform“, erklärt Geschäftsführer Jochen Schwill. Und das auch außerhalb von Deutschland: Next Kraftwerke vermarktet beispielsweise den Strom, den die Wasserkraftanlage im österreichischen Neubruck erzeugt (großes Foto: Projektplaner Julian Weiss).
© Next Kraftwerke GmbH
Speicher für die australische Sonne
Spitzenreiter in der Digitalisierung des Energiesektors sind auch weitere Industriestaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wie Australien. Dort verfügen bereits rund 2,1 Millionen Haushalte über eine eigene Solaranlage – auf Einwohner und Haushalte gerechnet ist das weltweite Spitze. Im Jahr 2018 wurden rund 1,6 Gigawatt auf den Dächern des Landes installiert, dadurch übersteigt die Gesamtkapazität bei Fotovoltaikdachanlagen bereits acht Gigawatt.
Weil Australien vom Export von Kohle und Eisenerz lebt, steht dem Umschwung von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern eine starke Kohlelobby gegenüber. So bekommen weiterhin auch neue Kohleminen grünes Licht: wie Mitte 2019 die Zeche Carmichael der Adani Group. Der Anteil regenerativer Erzeugung am Strommix stieg jedoch kontinuierlich und kletterte von 17 Prozent im Jahr 2017 auf über 21 Prozent für 2018.
Nicht zuletzt wegen der hohen Strompreise suchen die Haushalte indes nach Möglichkeiten, ihren Solarstrom zu speichern. Bis 2018 hatten die Australier Schätzungen zufolge knapp über 80.000 Speichersysteme im Einsatz – mit oder ohne Netzanschluss. Nach Prognosen von Bloomberg New Energy Finance soll die Nachfrage im Jahr 2019 mit rund 70.000 neuen Heimspeichersystemen deutlich an Fahrt gewinnen. „Dies eröffnet dem australischen Energiespeichermarkt in den nächsten Jahren ein riesiges Potenzial“, sagt Nick Franco, Market Manager Australia bei Varta Storage. Gerade tagsüber ist die Stromeinspeisung in das nationale Netz nicht sehr rentabel, deshalb interessieren sich nach Umfragen etwa 70 Prozent der Hauseigner mit Solaranlagen für die Anschaffung eines Heimspeichersystems. (s.u.)
Erste Förderprogramme sind bereits in Kraft und treiben den Markt an. Der Bundesstaat South Australia will 40.000 Heimspeicheranlagen bezuschussen. Der Bundesstaat Victoria stellt Mittel für 10.000 Systeme bereit. Zahlreiche Unternehmen im Heimspeicherbereich haben den australischen Markt bereits für sich entdeckt. US-Konzern Tesla war 2015 mit dem Modell Powerwall ein Vorreiter. Das von Shell übernommene deutsche Unternehmen Sonnen produziert seit Ende 2018 Heimspeicher in dem früheren Holden-Automobilwerk in Adelaide. Neben Varta suchen auch andere deutsche Unternehmen wie Solarwatt und Senec ihr Glück.
Die Chancen stehen gut, sagt der Varta-Australienverantwortliche Franco. Zwar sei der Markt von starker Konkurrenz geprägt. „Allerdings nehmen australische Verbraucher deutsche Produkte als hochqualitativ wahr und haben Vertrauen in Unternehmen wie Varta, die 130 Jahre Erfahrung in der Batteriefertigung haben.“
Varta: Energiespeicher für Down Under
Der schwäbische Batteriehersteller Varta ist ein internationales Schwergewicht. Das Unternehmen betreibt fünf Produktionsanlagen in Europa und Asien, zahlreiche Distributionszentren auf drei Kontinenten und ist in 75 Ländern aktiv – seit 2018 auch in Australien. Für Down Under haben die Schwaben sogar einen speziell auf den Markt zugeschnittenen Energiespeicher entwickelt, der einfach an der Wand installiert wird (siehe Foto). „Er hält höheren Umgebungstemperaturen stand und erfüllt die Standards des australischen Branchenverbandes Clean Energy Council“, sagt der Australienverantwortliche Nick Franco.
© VARTA Storage GmbH
Wasserstoff – Allrounder für die Energiewende
Während in Australien Festspeicher boomen, entstehen in Asien die ersten Massenmärkte für wasserstoffbasierte Technik. In Japan sind eine Viertelmillion Brennstoffzellenheizungen in Wohnhäusern installiert. Autobauer wie Hyundai fertigen serienmäßig Fahrzeuge mit Wasserstoff und Brennstoffzelle. Chinesische Megametropolen ordern in großen Mengen Wasserstoffbusse für den Nahverkehr.
Wasserstoff wird nach Einschätzung von Experten eine tragende Rolle spielen, um die Klimaziele zu erreichen. Denn er ist vielseitig einsetzbar: Ob im Wärmemarkt als Ersatz für Erdgas, im Verkehrssektor als synthetischer Kraftstoff oder in der Industrie – in all diesen Bereichen kann er dazu beitragen, den CO2-Ausstoß immens zu senken. Zudem ist er wahrscheinlich der entscheidende Baustein, um irgendwann vollständig auf erneuerbare Energien umzusatteln. „Wasserstoff lässt sich über einen sehr langen Zeitraum und in sehr hohen Energiemengen speichern“, erklärt Stefan Bergander, Projektmanager beim Wasserstoffnetzwerk Hypos.
Die Idee dahinter: Überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energien fließt in Elektrolyseure, die Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. Auf diese Weise entsteht sogenannter grüner Wasserstoff, der bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt werden kann – alles emissionsneutral. Das Problem: Die Kosten für die Herstellung von grünem Wasserstoff sind hoch, weil sehr viel teurer Strom benötigt wird und der Wirkungsgrad gering ist.
„In Deutschland haben wir die Kompetenz“, betont Kilian Crone, Wasserstoffexperte bei der Deutschen Energie-Agentur (Dena). „In der Forschung sind wir exzellent, zudem gibt es viel Expertise bei den Anlagenbauern und eine Reihe erfolgreicher deutscher Start-ups, die das Elektrolyseverfahren vorantreiben, Brennstoffzellenstacks fertigen und synthetische Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis entwickeln.“ Dazu zählen Sunfire (s.u.) und das Unternehmen Enapter. Doch fast alle kleinen und mittelständischen Unternehmen arbeiteten noch an Pilotprojekten, da der Massenmarkt in Europa bislang fehle, weiß Crone.
Um den Anschluss an die Konkurrenz aus dem Ausland nicht zu verlieren, müssen deutsche Unternehmen das heimische Trainingslager verlassen und den Markthochlauf starten. Am Willen zu investieren, fehlt es ihnen nicht. Wichtig wäre jetzt ein klares Bekenntnis zu dieser Technologie seitens der deutschen Politik, da sind sich die Branchenvertreter einig. Und ein Regelwerk mit Instrumenten, das den nötigen Auftrieb gibt. Immerhin: Im Dezember will das Bundeswirtschaftsministerium eine Wasserstoffstrategie mit konkreten Handlungsempfehlungen vorstellen.
Sunfire: Erneuerbare Langfristspeicher
Der Anlagenspezialist Sunfire wurde im Jahr 2010 in Dresden von Nils Aldag, Carl Berninghausen und Christian von Olshausen (Foto, von links) gegründet. Die Sunfire-Anlagen erzeugen erneuerbare technische Gase und Kraftstoffe, die als E-Gas, E-Fuel oder E-Chemicals fossile Energieträger wie Erdöl oder Erdgas ersetzen können. Die Vision: regenerative Energien von Windkraftanlagen oder Fotovoltaiksystemen überall dort und immer dann verfügbar zu machen, wenn sie gebraucht werden – und zwar nicht nur, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint.
© Sunfire GmbH
Triathlon Energiewende
Während deutsche Cleantech-Unternehmen die globale Energiewende also in vielen Ländern als Tempomacher voranbringen, besteht hierzulande und besonders weltweit großer Nachholbedarf im Klimaschutz in den Sektoren Wärme und Verkehr. Mit Blick auf Deutschland wird das auch im ETI deutlich: In der Gesamtplatzierung schafft es Deutschland 2019 nur auf Platz 17. Der Grund: Bei den Themen Treibhausgaseinsparung und Umweltschutz, den eigentlichen Gründen, warum wir die Anstrengungen einer Energiewende auf uns nehmen, reißt die Bundesrepublik bislang die Hürden. In der ETI-Bewertung der Systemperformanz, die unter anderem den Umweltschutz und die Wirtschaftlichkeit der Energiewenden weltweit beurteilen, landet Deutschland in der Top 30 des ETI auf dem drittschlechtesten Platz.
Die globale Energiewende ist ein Triathlon aus Strom-, Verkehrs- und Wärmewende. Gelingt es Deutschland nicht, hier nachzubessern, dann gleicht es einem Triathleten, der in der Wettkampfvorbereitung allein den Marathon im Blick hat. Er wird vielleicht beim Laufen Bestzeiten erreichen, beim Schwimmen und Radfahren aber kaum zu den Spitzenperformern gehören.
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