Trends in der Entwicklungszusammenarbeit
August 2021
Trend 1: Corona als Katalysator
Gerade in Zeiten von Corona, in denen viele klassische Investitionsmöglichkeiten wegbrechen, werden geberfinanzierte Projekte für immer mehr Unternehmen interessant. Das bestätigt auch Mario Ledic, Director Governmental Affairs beim Anlagenbauer Andritz: „Die Coronakrise wirkt sich bereits auf die Staatshaushalte vieler Länder aus. Dadurch wird die Finanzierung künftig schwieriger, Projekte werden gestrichen oder für einen längeren Zeitraum zurückgestellt werden müssen.“ Entwicklungszusammenarbeit kann die fehlenden Finanzierungen zwar nicht komplett ersetzen, aber einen erheblichen Teil der Lücke schließen.
Geber stocken Hilfen auf
Im Coronajahr 2020 haben Geber wie die USA, Deutschland und das Vereinigte Königreich mit 161,2 Milliarden US-Dollar einen neuen Höchstbetrag an Öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit (ODA) zugesagt. Dazu kommen Kredite internationaler Entwicklungsbanken wie der Weltbank oder der Europäischen Investitionsbank (EIB), die nicht als offizielle Entwicklungshilfe erfasst werden. Allein die Weltbankgruppe mobilisierte im Geschäftsjahr 2020 (Stichtag: 30. Juni 2020) 77 Milliarden US-Dollar an Krediten. Die EIB stellte 2020 einen Betrag von zwölf Milliarden US-Dollar zur Unterstützung von Ländern außerhalb der EU bereit. Auch die regionalen Entwicklungsbanken in Asien und Lateinamerika haben 2020 zusammen knapp 46 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung ihrer Mitgliedsländer ausgegeben.
Am Anfang der Pandemie fokussierten sich die Geber vor allem darauf, das Coronavirus schnell einzudämmen und medizinische Behandlungskapazitäten aufzubauen. Mittlerweile haben sie aber auch schon erste Maßnahmen unter dem Motto „build back better“ eingeleitet. Es sollen widerstandsfähigere und klimafreundlichere Gesellschafts- und Wirtschaftssysteme entstehen. Gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern muss massiv investiert werden, beispielsweise in klimaresistente Landwirtschaft, in umweltfreundliche Mobilität in den Megastädten sowie in nachhaltige Energieerzeugung. Auch im Gesundheitsbereich und bei der Digitalisierung gibt es in diesen Ländern einen enormen Aufholbedarf.
Auch künftig mehr Aufträge
Viele Geber haben zugesagt, ihre Unterstützungsleistungen zur Bekämpfung und Überwindung der Coronakrise auf einem hohen Niveau zu halten. Somit dürften in Zukunft weitere Aufträge durch die Entwicklungszusammenarbeit zu vergeben sein.
Trend 2: Nachhaltigkeit
Überall setzt sich der Trend zu mehr Nachhaltigkeit durch. Auch bei den Entwicklungsbanken: Ende 2020 haben sich 450 von ihnen in einer Allianz zu gemeinsamen Nachhaltigkeitsprinzipien verpflichtet. Sie wollen dafür sorgen, Wirtschaft und Gesellschaft zu transformieren und den Ausstoß von Treibhausgasen drastisch zu verringern. Besonders wichtig in diesem Transformationsprozess sind saubere Technologien, für die Investitionen in Billionenhöhe erforderlich sind.
Geber fördern Klimaschutz
Den Entwicklungsbanken kommt bei der Finanzierung dieser Jahrhundertaufgabe schon allein wegen ihrer Finanzkraft eine Schlüsselrolle zu. Im Jahr 2018 investierten alle Entwicklungsbanken weltweit rund 2,3 Billionen US-Dollar – also etwa zehn Prozent aller öffentlichen und privaten Investitionen.
Die Entwicklungsbanken fördern bereits heute unter anderem den Ausbau von effizienter Energieversorgung sowie nachhaltige Stadtentwicklung und Mobilität. Vereinbarungen wie das Pariser Klimaabkommen und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2015 sind dabei die internationalen Zielmarken. Auch die Bewegung Fridays for Future und die Coronapandemie sorgen für zusätzlichen Druck, die Ziele möglichst schnell zu erreichen.
Die Europäische Union ist mit ihrem Green Deal ein Vorreiter in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit und will per Gesetz bis 2050 klimaneutral sein. Die Europäische Investitionsbank plant, bis 2030 zusätzlich eine Billion Euro in Nachhaltigkeitsprojekte zu investieren. Auch andere Länder wie die USA oder das Vereinigte Königreich haben ehrgeizige Klimaziele formuliert.
Ausschreibungen verändern sich
Für deutsche Anbieter, beispielsweise der Energie- und Umweltwirtschaft, die bereits über hohe Nachhaltigkeitsstandards verfügen, bieten sich vielfältige Geschäftsmöglichkeiten in einem rasant wachsenden Markt. Mario Ledic, Director Governmental Affairs beim Anlagenbauer Andritz, bemerkt, dass Themen wie Nachhaltigkeit in Ausschreibungen zunehmend an Bedeutung gewinnen. Er betont: „Wir müssen das, was wir erfolgreich tun, verstärkt in Kennzahlen ausdrücken.“ Also beispielsweise präzise vorrechnen, wie hoch die CO2-Einsparungen durch ein Wasserkraftwerk wirklich sind. Deutsche Unternehmen sollten also die Auftragsmöglichkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit ins Visier nehmen und verstärkt auch auf geberfinanzierte Ausschreibungen achten.
Trend 3: Einheitliche EU-Förderung
Die Europäische Union (EU) vereinheitlicht mit ihrem neuen Mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 ihre Entwicklungszusammenarbeit. Bisher arbeitete die Union mit einer Vielzahl von Programmen für einzelne Weltregionen und Fördersektoren. Diese fasst sie nun in einem zusammen: dem Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI), auch Global Europe genannt. Für die EU-Beitrittskandidaten bleibt jedoch als getrenntes Programm das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) bestehen. Dafür stellt die EU 14,2 Milliarden Euro für sieben Jahre bereit.
Mehr Transparenz, weniger Verwaltung
Global Europe gilt für alle Entwicklungs- und Schwellenländer weltweit. Die EU verspricht sich davon mehr Flexibilität, einheitliche Verwaltungsstrukturen und mehr Transparenz. Aktuell bereitet das neue Instrument laut Thomas Keck, Prokurist bei der Beratungsfirma Particip, jedoch eher Schwierigkeiten. Die Programmierungsphase von NDICI sorge für Verzögerungen, Projektpartner wüssten noch nicht genau, wie das Instrument zu nutzen sei, und bei der EU gebe es Engpässe bei der Umsetzung. Er rechnet zudem mit komplexeren Durchführungsstrukturen. Laut Keck liegt das daran, dass verschiedene Finanzierungsinstrumente sowie Partner integriert werden müssen.
Das NDICI-Investitionsvolumen von 79,5 Milliarden Euro entfällt wie bisher schwerpunktmäßig auf einzelne Länder und Regionen, vor allem Subsahara-Afrika, außerdem auf spezielle Themen wie Menschenrechte und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die Mittel werden weiter über Mehrjahres- und Jahresaktionsprogramme zugewiesen, auf denen auch die Ausschreibungen basieren. Das Vergabehandbuch Practical Guide to Contract Procedures for EU External Actions (PRAG) regelt die Vergabeverfahren. Private Investitionen und Projekte sollen durch eine Garantie für Außenmaßnahmen (EAG) angeregt und abgesichert werden – mit beachtlichen 53,4 Milliarden Euro.
Trend 4: Wachsende Konkurrenz
Alte Hasen wissen: Hat sich ein Unternehmen bei einer Finanzierungsinstitution erst mal ein Standing aufgebaut, so zieht es immer wieder Aufträge an Land. Denn die Geber schätzen ein verlässliches Gegenüber. Auch ein strategisches Vorgehen zahlt sich aus. Je früher man von Projekten erfährt, desto besser kann man sich positionieren. Das kann durch gute Netzwerke funktionieren oder über eigene Niederlassungen vor Ort. „Als Lieferant erfährt man allerdings meist erst durch Eröffnung der Ausschreibung von den Projekten. Wichtig ist, regelmäßig die Ausschreibungsplattformen zu besuchen“, sagt Gabriele Lingenau, Geschäftsführerin der Firma Rediger, die weltweit Medizinprodukte und allgemeine Hilfsgüter liefert.
Fakt ist auch: In manchen Feldern der Entwicklungszusammenarbeit, etwa im Auslandsbau, prägt die chinesische Konkurrenz das Spielfeld merklich – direkt und indirekt. Direkt, indem Anbieter aus der Volksrepublik beispielsweise schlüsselfertige Anlagen zu konkurrenzlos niedrigen Preisen anbieten. Wenn der Preis hauptsächliches oder sogar einziges Kriterium bei der Vergabe ist, kommen sie fast immer zum Zug. Allein die Vergabestatistik der Weltbank spricht Bände: Im Geschäftsjahr 2020 (Stichtag: 30. Juni 2020) gingen 23 Prozent der von der Weltbank vergebenen Aufträge an Unternehmen aus China.
Dialog mit Gebern suchen
Der Wettbewerb wirkt sich manchmal auch indirekt aus, wie beim Brunnen- und Wasserversorgungsspezialisten Bauer Resources. Die Schrobenhausener bewarben sich auf eine KfW-finanzierte Ausschreibung für ein Brunnenbauprojekt in Mali. „Mit drei Losen schienen wir zunächst doppelt Glück zu haben: Es gab eine Präqualifikation, und pro Firma durfte nur ein Los vergeben werden. Da es nur zwei chinesische Mitbewerber gab, ging eines der drei Lose an uns, obwohl wir fast doppelt so teuer angeboten hatten“, sagt Geschäftsführer Roman Breuer. Dann kamen die Komplikationen. Breuer brauchte Bohrgeräte vor Ort, die wurden aber „mit fadenscheinigen Gründen“ mehr als ein halbes Jahr im Zoll festgehalten. Die federführende Wasserbehörde gewährte keine Fristverlängerung für die Ausführung des Auftrags. Breuer schließt daraus: „Es war offenbar nicht gewünscht, dass wir im fairen Wettbewerb mit den chinesischen Wettbewerbern vergleichbar wären.“
Die gute Nachricht: Wer jetzt im Markt agiert, hat Chancen. Im Dialog mit den Gebern lässt sich auf unfaire Praktiken hinweisen und auf die Durchsetzung von Lösungen hinwirken, die Qualitätskriterien einen hohen Stellenwert einräumen.
Trend 5: Blickpunkt Auslandsbau
Bei öffentlich oder privat finanzierten Großprojekten im Ausland tun sich deutsche Bauunternehmen oft schwer. Das hat zum Teil strukturelle Gründe: Deutschland hat – von Nischen wie Spezialtiefbau oder Wasserver- und -entsorgung abgesehen – keine international aufgestellten Generalunternehmer mehr. Hier punktet die Konkurrenz aus China und Südkorea, Indien und der Türkei. Deutsche Hersteller spezialisierter Komponenten machen jedoch Geschäfte als internationale Zulieferer. Beratende Ingenieure bewerben sich erfolgreich auf Machbarkeitsstudien und Projektüberwachungen. Der in Kassel ansässige Wasser- und Abwasserspezialist Ludwig Pfeiffer Hoch- und Tiefbau sieht sich immer wieder mit chinesischen Wettbewerbern konfrontiert – vor allem bei Projekten, die die Weltbank finanziert. „Die chinesische Konkurrenz bietet zu teils abenteuerlichen Preisen an“, sagt Geschäftsführer Ludwig Pfeiffer. „Als Konsequenz bewirbt sich unser Unternehmen um bestimmte Aufträge nicht mehr.“
Nur bedingt auf Partnersuche
Gleichzeitig schreibt die Firma, die mit nahezu allen Gebern in 30 Ländern Geschäfte macht, eine der eher raren Erfolgsgeschichten im deutschen Auslandsbau. Mit weltweit 2.500 Mitarbeitern bietet Ludwig Pfeiffer wenn möglich allein an. „Bei ganzen Anlagen holen wir auch ausländische Partner dazu, aber mit kleinem Anteil“, sagt der Geschäftsführer. Während die chinesische Konkurrenz häufig den Preiskampf gewinnt, punkten hiesige Bauunternehmen mit Qualität und Nachhaltigkeit. So wie die Schrobenhausener Bauer Resources, die Projekte für Brunnenbohrungen, Brunnenbau und Wasserversorgung in Subsahara-Afrika und dem Nahen Osten durchführt. „Wir arbeiten gern mit dem Saudi Fund for Development zusammen“, sagt Geschäftsführer Roman Breuer. „Dank dessen klarer Kriterien schon in der Präqualifikationsphase kommen wir als deutsches Unternehmen aufgrund von Qualitäts- und Sicherheitsansprüchen hier immer wieder zum Zug.“
Auch Frank Kehlenbach, Geschäftsbereichsleiter Europa und Auslandsbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, sieht Nachhaltigkeit als zentralen Aspekt. „Soweit große Bauvorhaben durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ausgeschrieben werden, müssen Nachhaltigkeitsaspekte stärker berücksichtigt werden“, fordert er. Darauf zielt die Toolbox für nachhaltige Auftragsvergaben der KfW Entwicklungsbank ab. „Die lokalen Projektträger wenden die Empfehlungen der Toolbox bei Bauausschreibungen noch nicht umfassend an“, bedauert Kehlenba