März 2017
Autor: Fausi Najjar
Das in der Innenstadt von Tunis gelegene „Startuphaus Tunis“ ist als Anlaufstelle und zentraler Treffpunkt für Existenzgründer und junge, wirtschaftlich interessierte Menschen gedacht. Es ist das erste Gründerzentrum seiner Art in Tunesien. Getragen wird es von Enpact e. V. und der Westerwelle Foundation – Stiftung für internationale Verständigung.
Yalla Read, das heißt so viel wie: „Lies doch endlich“. Gründer der jungen tunesischen Bücherverleihbörse ist der Marketingabsolvent Ahmad Hadhri. Sein Start-up-Konzept ist typisch für die hiesige Gründerszene: technisch versiert, innovativ und pragmatisch.
Der 24-jährige Gründer ist einer von vielen, die mit ihren Visionen die Unternehmenswelt bereichern. Seit einigen Jahren gründen immer mehr Tunesier ein eigenes Start-up. Statistiken zu Gründern oder Umfragen zur Start-up-Szene in Tunesien gibt es nicht. Eine hohe Dynamik sei allerdings unverkennbar, sagt Rym Baouendi, die unter anderem eine tunesische Bank in Sachen Start-ups berät und ein sogenanntes Co-Working-House namens Cogite mitgegründet hat; ein Haus, in dem junge Unternehmensgründer Büroarbeitsplätze finden und Kontakte knüpfen können. „Wir mussten unseren Co-Working-Raum seit 2013 verzehnfachen.“
Den tunesischen Start-up-Boom hat auch die Enpact aus Berlin unterstützt. Sebastian Rubatscher, Mitgründer der Berliner Organisation, die weltweit Start-ups fördert, formuliert es so: „2013 war da nicht viel. Die Awareness-Phase ist nun vorbei. Tunesien ist auf der Weltkarte der internationalen Start-up-Szene zunehmend sichtbar, aber auch bei talentierten Tunesiern ist jetzt das Bewusstsein da, mit einer guten Idee ein Unternehmen gründen zu können.“
Die Qualität derjenigen, die sich in den vergangenen Jahren bei Enpact für eine Förderung beworben haben, sei enorm gestiegen, sagt Rubatscher. „Gleichzeitig gibt es mehr Kooperationsmöglichkeiten mit Deutschland und anderen Ländern.“
Der Lesehelfer
»Als Studenten kamen wir nicht an Lehrbücher heran.«
Deutsche Organisationen beteiligt
Förderungen für junge tunesische Start-ups sind neu. Vor dem Sturz des Ben-Ali-Regimes im Januar 2011 gab es den größten Teil der heutigen Fördermöglichkeiten noch nicht. Im November 2015 hat sich sogar das bekannte Founders Institute aus dem Silicon Valley mit einem Gründerprogramm in Tunesien niedergelassen. Der tunesische Akzelerator „Boost“, der Start-ups mit erfahrenen Coaches auf die Beine hilft, legt ebenso ein Programm für Gründer auf. Zudem haben sich tunesische Mentoren organisiert, die den jungen Unternehmen beistehen: Sie sind beispielsweise unter den Namen Carthage Business Angel (CBA) und Flat8Labs bekannt. CBA hat 2011 das Gründerzentrum Wiki Start Up in Tunis ins Leben gerufen und 2012 einen Fonds für Start-ups namens Capital Ease Seed Fund aufgelegt. Ende 2013 haben der Qatar Friendship Fund, Ooredoo Tunisie und Microsoft Tunisie ein Innovationszentrum namens IntilaQ gegründet.
„Startuphaus Tunis“ als Infozentrum
Enpact hat Mitte März 2016 gemeinsam mit der deutschen Stiftung Westerwelle Foundation ein internationales Gründerzentrum eröffnet. „Im ‚Startuphaus Tunis‘ wollen wir helfen, die Ideen der Gründer Wirklichkeit werden zu lassen“, sagt Alexander Vogel, Generalsekretär der Westerwelle Foundation. Das in der Innenstadt gelegene Zentrum biete unter einem Dach alle relevanten Informationen, Beratung und Dienstleistungen für Existenzgründer. Hier arbeiten Start-up-Gründer auf rund 500 Quadratmetern. Das Zentrum bündelt in Kooperation mit lokalen Partnern
bestehende Initiativen und Angebote an einem Ort. „Seit Eröffnung ist eine neue Dynamik bei unserer Arbeit mit tunesischen Start-ups zu verspüren“, sagt Enpact-Mitgründer Sebastian Rubatscher. „Wir haben inzwischen 24 Co-Worker und drei komplette Gründerteams in separaten Büros in unserem Space.“ Trotz des Wandels sind tunesische Gründer immer noch mit Hürden konfrontiert. „Ich glaube, speziell an den tunesischen Start-ups ist, dass sie gegen viele Widerstände angehen müssen“, sagt die Start-up-Expertin Rym Baouendi. „Es gibt auch viele Start-ups, die gegründet wurden, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen“, so Baouendi. Ein Großteil der Gründer scheitert in den ersten Jahren.
»Wir brauchen uns nicht zu verstecken.«
Khaled Ben Younes plädiert für mehr Kooperationen zwischen tunesischen Start-ups und deutschen Unternehmen. Der Unternehmensberater war bis vor Kurzem Geschäftsführer und Gründer der tunesischen Start-up-Fördergesellschaft IntilaQ und bis August 2016 offizieller Regierungsberater. Ben Younes hat in Erlangen Informatik mit Schwerpunkt Telekommunikation studiert, wo er auch als Dozent tätig war. Er war bei mehreren internationalen Telekommunikationsunternehmen in leitender Managementfunktion.
Was zeichnet die tunesischen Gründer besonders aus?
Tunesische Gründerinnen und Gründer sind stark technisch ausgerichtet und in ihrem Fach kompetent. Mit diesen Fähigkeiten können wir international punkten. Viele Gründer wissen aber nicht, wie aus einer Idee ein funktionierendes Geschäftsmodell entwickelt wird. Hochschulabsolventen und ihr Umfeld sind häufig auf Jobs bei öffentlichen oder privaten Arbeitgebern fokussiert. Damit können wir die hohe Arbeitslosigkeit bei den Hochschulabsolventen nicht beheben. Wir haben ein großes Potenzial, aber in Sachen Gründergeist können wir von Deutschland lernen.
Wie können tunesische Start-ups und deutsche Unternehmen zusammenarbeiten?
Wir haben niedrige Lebenshaltungskosten und können deswegen unser gutes Know-how zu stark wettbewerbsfähigen Preisen anbieten. Das Problem ist aber auch, dass selbst unsere eigenen Unternehmen im Lande viel zu wenig erkennen, wie sie von innovativen Start-ups profitieren könnten. Von den Deutschen können wir lernen, wie ein Zusammenspiel zwischen innovativen Gründern mit schon etablierten Unternehmen besser funktionieren kann. Nicht zuletzt sind deutsche Unternehmen in der Regel ideale Partner bei einer gemeinsamen Erschließung von Drittmärkten.
Was muss sich für die Start-ups in Tunesien verbessern?
Nach der Revolution gab es sehr viele Initiativen mit dem Ziel, junge Menschen beim Aufbau von Start-ups zu unterstützen. Leider ist unsere Förderlandschaft zu unstrukturiert. Das Ministerium für Beschäftigung und Berufsbildung hat eine Initiative gestartet, um die Unterstützung effizienter zu gestalten. Neben diesem strukturellen Problem gibt es auch einige Felder, wo es Verbesserungsbedarf gibt: Dazu zählen vor allem die Finanzierung und der Schutz geistigen Eigentums.
In welchen Branchen sind tunesische Start-ups besonders stark?
Wir brauchen uns im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich nicht zu verstecken. Wir haben eine Reihe guter Universitäten und gute tunesische Absolventen aus dem Ausland. Ich habe auch große Achtung vor denjenigen, die ohne Hochschulabschluss in ihrem eher innovationsfeindlichen Umfeld etwas erfolgreich auf die Beine stellen. Nicht zuletzt müssen wir auch in den wirtschaftlich schwachen Regionen Innovationen fördern, auch dort gibt es talentierte Hochschulabsolventen und potenzielle Gründer.
Hohe bürokratische Hürden
Amel Saidane, Mitgründerin einer Plattform für lebenslanges Lernen, schätzt, dass der Anteil derjenigen, die es nicht schaffen, bei mehr als den üblichen 20 Prozent liegt. Unsere Gesprächspartnerin, die in Hannover Elektrotechnik und an der Universität Maryland (USA) Digitale Betriebswirtschaft studiert hat, klagt zudem: „Die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und Gründern ist noch ausbaufähig. Das liegt vor allem daran, dass die Nachfrage tunesischer Unternehmen nach Input bei Forschung und Entwicklung so gering ist. Außerdem lehren die Unis nicht unbedingt das, was die Privatwirtschaft nachfragt, und speziell, was Gründer wissen sollten. Auch die bürokratischen Hürden für Kooperationen sind hoch.“ Allerdings scheinen sich die Universitäten immer mehr zu öffnen, sagen Beobachter: So haben die Privathochschulen Esprit und die Mediterranean School of Business ein Innovationszentrum eingerichtet.
Insbesondere die tunesische IT-Branche gilt schon jetzt als ausgesprochen wettbewerbsfähig. Das bestätigt etwa Martin Stork, Vizepräsident des SAP Africa Growth Plan. Das SAP-Programm hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 in Afrika 10.000 neue Arbeitsplätze für junge Absolventen zu schaffen. „Mit Kosten im Jahr von rund 26.000 Euro pro Entwickler sind die Leistungen vergleichbar mit Indien.“ Zu den weiteren Standortvorteilen zählten die geografische Nähe zu Deutschland und der Umstand, dass es keine oder kaum eine Zeitverschiebung zu Europa gebe. Der Talent-Pool sei mit 13.000 IT-Absolventen pro Jahr sehr groß. Diese Softwareentwickler brächten meist gute Englischkenntnisse mit.
Der Bienentechniker
»Mein Vater hatte Probleme mit seinen Bienen.«
Tunesische Erfolgsgeschichten
Mittlerweile sind in Tunesien etliche Start-ups mit internationaler Relevanz entstanden. Dazu zählen der 2002 als Start-up lancierte Technologieanbieter für Onlinereisebuchungen Cybersea, der über zwei Drittel seines Umsatzes in Nordafrika und Mittelost macht. Oder Webradar, ein Unternehmen, das Tools für die Analyse von Big Data in der arabischen Welt anbietet. Chifco hat ein System zur intelligenten Steuerung zwischen Netzgeräten entwickelt. Das Start-up war im Jahr 2011 mit einem Kapital von umgerechnet 2.500 Euro gestartet und hat 2015 mit 30 Angestellten und Partnern in Algerien, Marokko, Südafrika sowie den USA umgerechnet rund 1,3 Mio. Euro umgesetzt. Zu nennen wäre auch der Spieleproduzent Digital-Mania, den der Tunesier Walid Sultan Midani 2012 gegründet hat. Ein weiterer Gründer mit Starpotenzial ist nicht zuletzt der gerade mal 19 Jahre alte Yahya Bouhlel. Dieser ist Geschäftsführer einer Programmierschule. Sein Entwicklungskonzept hat er auf einer großen Investorenkonferenz Anfang Dezember 2016 vorgestellt, die die tunesische Regierung organisiert hat. Das zeigt: Tunesiens Gründerszene ist in Bewegung und wird es bleiben.
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