Juni 2017
Autor: Heiko Steinacher
Tunnelbohrmaschine Anna im Follo-Bahntunnel. Seit Ende 2016 fräsen sich vier Bohrer des deutschen Spezialisten Herrenknecht durch das Gestein östlich des Oslofjords. Die Follo-Bahn ist das derzeit größte Infrastrukturprojekt Norwegens und soll zwei Milliarden Euro kosten. © AGJV/Nicolas Tourrenc
Was haben Königin Eufemia, Königin Ellisiv, Anna von Kloppa und Magda Flåtestad gemeinsam? Alle vier sind besonders stark. Und alle vier stammen vom badischen Hersteller Herrenknecht. Tunnelbohrmaschinen erhalten oft weibliche Namen, angelehnt an Santa Barbara, die Schutzpatronin der Mineure und Tunnelbauer. In früheren Zeiten war die Tunnelpatin als Vertreterin der Heiligen Barbara während der Bauzeit die einzige Frau, die den Tunnel betreten durfte.
Deutsche Technik für die Follo-Bahn
Die vier starken Damen fräsen sich seit Ende 2016 durch den Granit östlich des Oslofjords. Der dadurch entstehende Follo-Bahntunnel zwischen Oslo und Ski ist nicht nur der längste Eisenbahntunnel in ganz Skandinavien, sondern auch das derzeit größte Infrastrukturvorhaben in Norwegen – etwa 19 Kilometer lang, wobei die Kosten für das Follo-Bahn-Gesamtprojekt auf umgerechnet mehr als zwei Milliarden Euro geschätzt werden.
„Die Follo Line ist eines der anspruchsvollsten Infrastrukturprojekte im Hartgesteins-Tunnelling“, sagt Martin Herrenknecht, Gründer und Vorstandsvorsitzender des deutschen Maschinenbauunternehmens, der den Auftraggeber Acciona Ghella Joint Venture mit Vortriebstechnik beliefert. Bauherr ist Jernbaneverket. Bis Dezember 2021 soll die neue Bahnlinie fertig sein.
»Die Follo Line ist eines der anspruchsvollsten Infrastrukturprojekte im Hartgesteins-Tunnelling.«
Martin Herrenknecht,
Gründer und Vorstandsvorsitzender der Herrenknecht AG
Norweger sind Tunnelbaumeister. Die meisten Tunnel und Stollen werden sprengtechnisch ausgebrochen. 2016 wurden in Norwegen insgesamt 7,2 Millionen Kubikmeter Fels gesprengt, davon 4,4 Millionen für den Straßen- und mehr als 0,8 Millionen für den Eisenbahn- und U-Bahn-Bau. „Damit markierte das letzte Jahr für uns ein Allzeithoch im Tunnelbau“, sagte Thor Skjeggedal von der Norwegian Tunnelling Society (Norsk Forening for Fjellsprengningsteknikk) kürzlich in einem Interview.
Schwebender Unterwassertunnel
Und noch ist kein Ende in Sicht. Eines der Neubauprojekte stellt sogar den bisher längsten Straßentunnel der Welt, den Laerdal-Tunnel in Sogn og Fjordane (24,5 Kilometer) in den Schatten: Der Rogfast-Tunnel durch den Sognefjord soll mit etwa 27 Kilometern nicht nur noch länger, sondern auch als schwebender Unterwassertunnel gebaut werden. Vorgesehen sind dazu 1,2 Kilometer lange, parallel verlaufende Betonröhren (je eine pro Spur). Sie werden an Pontons befestigt und eventuell zur Sicherheit auch am Grund des Fjords noch verankert. Dann sollen sie etwa 30 Meter unter der Wasseroberfläche schweben. Die Investitionskosten werden mit rund 37 Milliarden Euro beziffert. Durch die Umgehung von 14 Fähr-
überfahrten würde sich die Fahrtzeit von Kristiansund bis Trondheim damit in etwa halbieren.
Auch in der Hochseeschifffahrt will Norwegen durch den Bau eines Riesentunnels Standards setzen. So soll durch die Halbinsel Stadlandet nördlich von Maloy ein 1,7 Kilometer langer Tunnel entstehen. Mit einer Höhe von 49 Metern und einer Breite von 36 Metern wird er sogar für Fracht- und Kreuzfahrtschiffe der Hurtigruten-Flotte reichen. Die als nautisch besonders anspruchsvoll geltenden Gewässer um Stadlandet lassen sich auf diese Weise in Zukunft umschiffen. Die Bauarbeiten dürften im Jahr 2019 beginnen, bis 2023 soll der Schiffstunnel fertiggestellt sein. Die Baukosten dürften bei etwa 300 Millionen Euro liegen.
Tunnelprojekte
Spektaktuläre Schwimmröhren
Allein um die Sicherheit längerer Tunnel zu verbessern, will das norwegische Straßenverkehrsamt rund 110 Millionen Euro pro Jahr ausgeben. Dazu arbeitet die Behörde für jeden einzelnen Tunnel einen Plan aus. Meist geht es um Lüftung, Brandschutz, Notrufeinrichtungen und Beleuchtung. Ob Planung, Bau oder Sicherheit von Tunneln – Norwegen bietet hier ein lukratives Geschäftsfeld, das deutschen Unternehmen gute Chancen eröffnet, ihre Kompetenzen einzubringen.
Solche öffentlichen Infrastrukturbauaufträge gehen nämlich zunehmend auch an Auftragnehmer außerhalb Norwegens. So hat Hochtief gemeinsam mit dem norwegischen Unternehmen Veidekke Entreprenor einen Abschnitt der Europastraße 6 (E6) nördlich von Oslo sowie ein Teilstück der Bahnstrecke Oslo–Trondheim modernisiert. Das insgesamt 5,6 Kilometer lange Autobahnteil umfasste zwei Tunnel, der 6,8 Kilometer lange Gleisabschnitt einen. 2016 war alles fertig.
Zusammen mit seinem norwegischen Partner Stangeland baut der deutsche Bau- und Industriedienstleister Bilfinger den rund fünf Kilometer langen Eiganestunnel in Stavanger. Neben mehreren Auf- und Abfahrrampen baut Bilfinger dafür weitere Verbindungstunnel. Bis 2018 soll der Doppelröhrentunnel fertiggestellt sein.
PNC Norge, eine Tochter des österreichischen Bauunternehmens Porr, sicherte sich im August 2016 einen Auftrag im Wert von umgerechnet circa 36 Millionen Euro für den Bau eines 5,5 Kilometer langen Abschnitts der Landstraße 17 in der Provinz Nordland, der durch zwei Tunnel verlaufen wird. Strabag wurde 2016 in Norwegen erstmals als Alleinauftragnehmer für ein Teilstück der E16 von Oslo nach Bergen ausgewählt, das einen fast zwei Kilometer langen Tunnel beinhaltet.
Und Implenia hat Anfang des Jahres 2017 ein weiteres Los für den Ausbau der E39 von Bergen nach Trondheim erhalten, das einen 2,5 Kilometer langen Tunnel unter dem Kjosnesfjord umfasst. Zuvor hatte das Schweizer Unternehmen bereits den Zuschlag für den Bau eines anderen Abschnitts entlang der E39 bekommen, der mehrere Tunnel mit einer Länge von insgesamt sieben Kilometern beinhaltete. Auch bei einem Teilstück der E134 bei Kongsberg inklusive Tunnelbau ist Implenia 2016 zum Zuge gekommen.
Die Norweger bauen ihr Verkehrsnetz also fleißig aus. Und nicht nur Tunnel werden dabei eine Hauptrolle spielen. Sondern auch viele deutsche Spezialisten.
Ihr GTAI-Ansprechpartner für Schweden
Heiko Steinacher
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