Voll auf Autopilot

Ungarn will sich zum regionalen Zentrum für ­auto­nomes Fahren und Elektromobilität entwickeln. Die Autohersteller Audi und BYD ­engagieren sich bereits, genauso wie der südkoreanische Samsung-Konzern.

Dezember 2017
Autor: Waldemar Lichter

In Zalaegerszeg ist die Zukunft angekommen. In der gerade einmal 62.000 Einwohner zählenden Hauptstadt des Verwaltungsbezirks Zala im Nordwesten Ungarns entsteht für rund 144 Millionen Euro eine Teststrecke für autonom fahrende Automobile. Das Vorhaben, das in Mittelosteuropa seinesgleichen sucht, ist nur eines von mehreren Elementen einer neuen Strategie der ungarischen Regierung zur Weiterentwicklung der einheimischen Automobilindustrie. Diese ist mit rund 30 Prozent Anteil am verarbeitenden Gewerbe der wichtigste Industriezweig des Landes und eilt seit Jahren von Rekord zu Rekord. Zwischen 2010 und 2016 hat sich der Wert der in der ungarischen Kfz-Industrie produzierten Waren und Dienstleistungen auf rund 25 Milliarden Euro verdoppelt. Für 2017 wird mit umgerechnet 26,7 Milliarden Euro ein neuer Höhepunkt erwartet. Mehr als 90 Prozent der Produktion gehen ins Ausland.

Nun will die Regierung den Wirtschaftsmotor Autoindustrie noch höher drehen lassen. Die Elektroinitiative soll die Kfz-Industrie auf ein neues Niveau heben: mit mehr eigener Entwicklung, höherer Wertschöpfung und Hightech. „Ungarn hat das Ziel, ein regionales Zentrum für intelligente Fahrzeug­entwicklung, Elektromobilität und Technologien der Industrie 4.0 zu werden“, sagt Istvan Lepsenyi, Staatssekretär im ungarischen Wirtschaftsministerium.

Elektro-SUV mit eingebautem Chauffeur: Die Mercedes-Studie Concept EQ soll nicht nur mit Strom, sondern auch zumindest teilautonom fahren.

© picture alliance/Revierfoto

»Unternehmen sollen in Ungarn auch an neuen Produkten arbeiten.«

Istvan Lepsenyi, Staatssekretär im ungarischen Wirtschaftsministerium

Vernetztes Fahrzeugforschungszentrum

Die Teststrecke gilt als zentraler Bestandteil dieser Strategie. Sie soll ein Nukleus für die Entwicklung und den Einsatz selbstfahrender Fahrzeuge und Elektroautos sein. Zahlreiche Unternehmen aus der Automobil- und Zulieferindustrie wollen die Anlagen nutzen, darunter die Continental-Tochter Continental Automotive Hungary, Robert Bosch, Thyssenkrupp Presta Hungary, ZF Hungaria, TÜV Rheinland Intercert und SMR Automotive Hungary. Begehrter Produktionsstandort, siehe rechts

Die ersten Testfahrten sollen noch 2018 stattfinden, die ganze Anlage wird bis zum Jahr 2020 fertig. Auch die Branche der Informations- und Kommunikationstechnik soll profitieren. Denn entlang der Strecke kommt die Mobilfunktechnologie der fünften Generation (5G) zum Einsatz, um den Fluss der benötigten Datenmengen zu gewährleisten. Die Regierung, erklärt Staatssektretär Lepsenyi, habe ein „vernetztes Fahrzeugforschungszentrum“ im Sinn. „Unternehmen, die sich um die Anlage herum ansiedeln, werden dort nicht nur testen, sondern auch an neuen Produkten für den Markt arbeiten.“

Das Wirtschaftsministerium will durch die Investition in Zalaegerszeg die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der gesamten ungarischen Wirtschaft stärken. Vor allem aber will sie Ungarns Position als wichtigen Standort der europäischen Automobilindustrie festigen. Profitieren soll auch die Kooperation zwischen Unternehmen sowie Bildungs- und Forschungseinrichtungen.

Mit der Anlage und den guten Rahmenbedingungen, wie dem mit neun Prozent extrem niedrigen Körperschaftssteuersatz, will sich Ungarn als Standort für weitere ausländische Hightechunternehmen empfehlen. Unter anderem soll der US-Elektroauto-Pionier Tesla überzeugt werden, ein geplantes Werk inklusive Forschungseinrichtungen in Ungarn zu bauen. Die Rede ist von einem Investitionsvolumen von mehr als fünf Milliarden Euro.

Zahlen & Fakten

Zalaegerszeg

Hier soll für 144 Millionen Euro eine Teststrecke für autonome Pkw entstehen.

8,3 Mrd. Euro

Investition von Audi in die Produktionsanlage in Györ seit 1993 1)

30 Mio.

Anzahl der von Audi in Györ bereits produzierten Motoren, unter anderem für VW, Bentley und Lamborghini 1)

90 %

Exportquote der Kfz- und Automobilzulieferindustrie. Abnehmer sind vorwiegend Hersteller in Europa. 2)

500

Anzahl der in Ungarn ansässigen Kfz-Zulieferer 3)

1) Hungarian Investment Promotion Agency; 2) Recherchen von Germany Trade & Invest; 3) Ungarischer Kfz-Zulieferverband MAJOSZ

Branche begrüßt die Initiative

Branchenfachleute sehen die Aktivitäten der Regierung positiv. „Die Teststrecke ist ein Beweis für die Zukunftsfähigkeit der ungarischen Automobilindustrie“, sagt Peter Löre, Kommunikationschef von Audi Hungaria. Das Unternehmen hat seit dem Jahr 1993 rund 8,3 Milliarden Euro in seine ungarischen Werke gesteckt und ist damit der größte Investor in der Automobilindus­trie sowie der wichtigste Exporteur. Am Standort Györ, rund 120 Kilometer westlich von Budapest, betreibt Audi heute neben dem Fahrzeugbau auch sein größtes ­Motorenwerk weltweit und beschäftigt ins­gesamt 11.500 Mitarbeiter.

Auch Audi will in Ungarn seine Aktivitäten im Bereich Elektromobilität verstärken. Dazu rüstet sich das Unternehmen bereits mit modernster Technik und Entwicklungskapazitäten, um in Györ bereits ab 2018 Motoren für Elektroautos bauen zu können – in flexibler modularer Fertigungstechnologie. Auch an der Entwicklung von Komponenten soll das nordungarische Werk mitwirken.

Zwei andere ausländische Unternehmen haben im Bereich Elektromobilität in Ungarn bereits investiert. In der ungarisch-slowakischen Grenzstadt Komarom hat das chinesische Unternehmen BYD mit der Produktion elektrisch betriebener Busse begonnen. Die Chinesen wollen in dem Werk bis zu 400 Fahrzeuge pro Jahr bauen.

Eine noch weitaus größere Investition in die ungarische Industrie für Elektroautos kam im Jahr 2017 von Samsung. Samsung SDI errichtete in Göd, rund 25 Kilometer von Budapest entfernt, ein Werk für Akkus für Elektroautos. Die Investitionen beziffert Samsung auf 360 Milliarden US-Dollar. Geplant ist, in der Anlage ab dem zweiten Halbjahr 2018 rund 50.000 Akkus pro Jahr zu produzieren. Damit wird Ungarn zu einem der weltweit wichtigsten Samsung-Standorte für die Stromspeicher.

»Die Teststrecke in Zalaegerszeg ist ein Beweis für die Zukunftsfähigkeit der ungarischen ­Automobilindustrie.«

Peter Löre, Kommunikationschef von Audi Hungaria