Volle Kraft voraus

Russland und Zentralasien sind reich an Öl und Gas. Allerdings ist das Potenzial längst noch nicht ausgeschöpft. Um mehr aus ihren Rohstoffen rauszuholen, investieren die Länder verstärkt in die Weiterverarbeitung. Das zeigt eine Vielzahl von Projekten.

Februar 2018
Autoren:  Sofia Hempel, Olesja Hess, Verena Saurenbach, Uwe Strohbach und Hans-Jürgen Wittmann

Russland denkt in Superlativen. Vor allem wenn es um einen seiner größten Schätze geht: Erdgas. Um den Rohstoff in riesigen Mengen in verflüssigter Form nach Europa und Asien zu verschiffen, ließ das Joint Venture JSC Yamal LNG den bislang größten eisbrechenden Gastanker der Welt bauen. Christophe de Margerie heißt der knapp 300 Meter lange weiß-blau-rote Koloss. Eine volle Ladung von 173.000 Kubikmetern könnte ganz Schweden vier Wochen lang mit Gas versorgen.

Der Supertanker, von dem es noch 14 weitere geben soll, ist Teil eines gigantischen Erdgasprojektes auf der nordwestsibirischen Halbinsel Jamal. Im Dezember 2017 nahm JSC Yamal LNG den ersten Teil einer insgesamt 25 Milliarden Euro teuren Gasverflüssigungsanlage in Betrieb. Zum Firmenkonsortium gehören der russische Erdgasförderer Nowatek, der französische Energiekonzern Total, der chinesische Staatskonzern CNPC und der Seidenstraßenfonds. Eine weitere Anlage, die Arc­tic-LNG-2, will Nowatek mit internationalen Partnern auf der benachbarten Halbinsel Gydan für umgerechnet rund neun Milliarden Euro errichten.

Der mächtige Koloss Christophe de Margerie schiebt sich durchs Eis. Mit solchen Supertankern will Russland künftig flüssiges Erdgas weltweit exportieren.

© Image courtesy of DSME (photo by DSME)

Liquefied Natural Gas (LNG) ist für Russland ein neues Geschäftsmodell. Traditionell setzt das Land auf Pipelines, um sein Erdgas auszuführen. Dadurch verpasste es beinahe den Einstieg auf dem Markt für Flüssiggas.

Auch bei der Weiterverarbeitung von Erdöl und -gas zu hochwertigen Produkten wie Primärkunststoffen ist noch Luft nach oben. Nach Angaben der Unternehmensberatung EY trug die Petrochemiebranche gerade einmal 1,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei – ein Bruchteil von dem, was möglich wäre.

Ähnlich geht es den öl- und gasreichen zentralasiatischen Ländern Kasachstan, Turkmenistan und Usbekistan. Auch sie haben bislang hauptsächlich in die Erschließung und Förderung von Kohlenwasserstoffen investiert und die Verarbeitung und Veredelung vernachlässigt.

Für die stark exportorientierten Staaten Kasachstan und Turkmenistan rächt sich eine mangelnde Diversifizierung besonders in Zeiten eines niedrigen Ölpreises: Dann brechen die Deviseneinnahmen aus dem Rohstoffhandel ein und bringen die Länder in wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Veraltete Technik, Treibstoffengpässe

Ein weiteres Problem haben alle ölreichen Republiken der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) gemeinsam: Ihre Raffinerien sind veraltet. Immer wieder kommt es deswegen zu Engpässen in der Treibstoffversorgung. Umweltfreundlichere Kraftstoffe sind noch absolute Mangelware. Kasachstan ächzte zuletzt im Oktober 2017 unter einer Benzinkrise, auch weil sich Modernisierungsarbeiten an Raffinerien verzögert haben.

Im benachbarten Land Usbekistan leiden die rund 32 Millionen Verbraucher und die Wirtschaft ebenfalls immer wieder unter fehlendem Treibstoff. Das inländische Angebot reicht bei Weitem nicht aus, um die rund 3,6 Millionen registrierten Fahrzeuge und Landmaschinen zu versorgen. In vielen Regionen des Landes mussten Tankstellen sogar schließen.

Zahlen & Fakten

1,5%

des Bruttoinlandsproduktes in Russland werden in der Petrochemie erzeugt.

390 Mio.

Euro an Primärkunststoffen importierte Kasachstan im Jahr 2016.

200

Betriebe und fast 130.000 Beschäftigte gehören in Usbekistan zur Holding Uzbekneftegaz.

80%

der gesamten Ausfuhren Turkmenistans entfallen auf Erdgas und Rohöl.

Quellen: EY, UN Comtrade, Uzbekneftegaz, GTAI-Wirtschaftsdaten kompakt

Ein Blick auf die zahlreichen Projekte in der Region zeigt, dass Russland und Zentralasien die Diversifizierung ihres Öl- und Gassektors ernst meinen – und ihre Ressourcen gewinnbringender einsetzen wollen. In Russland entstehen zwischen dem Baltikum und dem Fernen Osten mehrere riesige Werke zur Gasverflüssigung und zur Produktion von Primärkunststoffen.

Einige Anlagen, beispielsweise der knapp elf Milliarden Euro teure Östliche Petrochemische Komplex, befinden sich noch in der Projektierungsphase. In Turkmenistan und Usbekistan sind Großprojekte bereits angelaufen. In den kommenden Jahren sind Erweiterungen geplant.

Der Münchener Industriekonzern Linde zeigt, wie deutsche Firmen vom derzeitigen Projektboom in der Region profitieren. Das Unternehmen ist am Bau einer 19 Milliarden Euro teuren Erdgasverarbeitungsanlage im Gebiet Amur im Fernen Osten Russlands beteiligt.

Für den Staatskonzern Gazprom liefert Linde Anlagen zur Extraktion von Ethan und Flüssiggasbestandteilen und übernimmt das Engineering. Anfang Juni 2017 zog der Konzern aus Bayern einen weiteren Großauftrag aus Russland an Land: den Bau einer Olefinanlage am größten osteuropäischen Petrochemiestandort in Nischnekamsk in der Republik Tatarstan. Auftraggeber ist das Petrochemieunternehmen Nischnekamskneftekhim.