April 2017
Autor: Marc Lehnfeld
Holztransporter auf einem Pass in der Nähe des Skiorts Saariselka im finnischen Lappland: Finnland gilt als der waldreichste Staat in der Europäischen Union. Die heimische Forstwirtschaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige.
© Frank Heuer/laif
Wenn die Finnen Ende Juni die Sommersonnenwende mit einem langen Urlaub feiern, zieht es sie in die Wälder, die etwa 76 Prozent des Landes bedecken, so viel wie in keinem anderen europäischen Staat. Auch für die finnische Wirtschaft spielt das grüne Gold der Wälder eine wichtige Rolle. Die Forstindustrie ist die zweitgrößte Industriebranche und stellt über ein Fünftel der Warenexporte. Die meistexportierten Produktgruppen sind Papier, Karton, Zellstoff und Sägeholz. Die Konzerne UPM-Kymmene und Stora Enso gehören zu den zehn größten Papierherstellern weltweit, brauchen aber dringend Innovationen, denn Druck- und Schreibpapier kommt in Nordamerika und Europa aus der Mode. Die zunehmende Digitalisierung lässt die Papiernachfrage kontinuierlich fallen. Das belastet auch den Standort Finnland, der in diesem Segment traditionell stark war. Die Folgen: Die Papierherstellung geht zurück, Unternehmen entlassen Tausende Beschäftigte. Auch in Deutschland haben die finnischen Hersteller in den vergangenen Jahren zahlreiche Papierfabriken verkauft oder geschlossen.
Zellstoff als universelles Grundprodukt
Doch jetzt erfinden sich die schon verloren geglaubten finnischen Papierhersteller neu. Sie setzen auf das universelle Vorprodukt, aus dem auch Papier gemacht wird: Zellstoff. Der ist schon deshalb so lukrativ, weil sich aus ihm eine Vielzahl von Produkten herstellen lässt, die auf dem globalen Markt gefragt sind: Hygiene- und Tissuepapier für die wachsende Weltbevölkerung, Textilien aus Holzfasern für das steigende ökologische Bewusstsein, Verpackungspapier und Versandkartons für den zunehmenden Onlinehandel.
Außerdem fallen bei der Zellstoffproduktion zahlreiche Nebenprodukte an, aus denen die Finnen jetzt eine ungeahnte Vielfalt neuer holzbasierter Produkte entwickeln. So verkauft zum Beispiel UPM an finnischen Tankstellen einen neuen Biodiesel, der aus Tallöl raffiniert wurde, das bei der Verarbeitung von Holz entsteht. Die Regierung will den Anteil alternativer Kraftstoffe in Finnland bis 2030 auf 40 Prozent anheben.
Stora Enso verkauft seit 2015 den in seiner Sunila-Mühle extrahierten und vielfältig einsetzbaren Reststoff Lignin. Er wird zum Beispiel zu Xylose. Und die geht dann etwa an die Produzenten des Zuckeraustauschstoffes Xylitol – ein Markt, der jährlich um vier bis sechs Prozent wächst.
Interview
»Paradebeispiel der Transformation«
Horst Mosler ist Geschäftsführer des Spitzenclusters Bioeconomy in Halle an der Saale. Dort arbeiten Industriebetriebe und Forscher an neuen Methoden, Biomasse als Rohstoff und Energieträger zu nutzen. Ein Schwerpunkt des Clusters ist Holz – deshalb beobachten die Sachsen-Anhaltiner aufmerksam, was in der finnischen Papierindustrie vorgeht.
Herr Mosler, im letzten Herbst führte Sie eine Clustervermarktungsreise von Germany Trade & Invest in den finnischen Wald. Warum Finnland?
Die finnische Forest Industry ist ein Paradebeispiel der Wirtschaftstransformation. Im Bereich der Papierherstellung, aber auch hinsichtlich Biotreib- und Baustoffen wurden diverse Produktpaletten entwickelt, sodass bereits heute rund 80 Prozent der finnischen Wirtschaft auf erneuerbaren Rohstoffen beruhen. Kein Wunder, dass wir mit unseren Technologien Finnland auserkoren haben.
Als deutscher Spitzencluster sind Sie international gut vernetzt. Wie schätzen Sie Finnlands holzbasierte Bioökonomie im globalen Zusammenhang ein?
Der Anteil des Bruttoinlandsprodukts der Holzwirtschaft in Finnland ist deutlich größer als der in Deutschland. Finnland ist federführend in Europa in Bezug auf die nadelholzbasierte Bioökonomie, womit wir uns komplementär hervorragend ergänzen, weil Deutschland und speziell der Spitzencluster Bioeconomy führend in der laubholzbasierten Bioökonomie sind.
Wie können die Stärken der holzbasierten Bioökonomie zu einem wirtschaftlichen Vorsprung ausgebaut werden?
Wir müssen die Vorteile und das Potenzial des Bioökonomiestandortes Mitteldeutschland optimal nutzen. Wir verfügen über eine kosteneffiziente Infrastruktur durch integrierte chemische Standorte, Pilotanlagen und regional verfügbares Laubholz – ideale Standortfaktoren für eine biobasierte Wirtschaft. Ein gefördertes Internationalisierungsprojekt bietet uns ideale Kooperationschancen zur Zusammenarbeit. Die Brücke zwischen Finnland und Deutschland ist also schon gebaut.
Deutsche Unternehmen sind wenig sichtbar, aber durchaus in Projekte involviert, bestätigt Jaakko Jokinen, Senior Principal bei Pöyry Management Consulting, einer auf die Forstindustrie und Energiewirtschaft spezialisierten Beratungsgesellschaft. „Sie punkten bei der Technologie und sind als Abnehmer der finnischen Holzprodukte interessant, zum Beispiel in der Chemieindustrie.“ Laut Branchenexperten laufen zahlreiche Entwicklungsprojekte mit Unternehmen oder Forschungseinrichtungen wie den Fraunhofer-Instituten.
Im Rahmen der strategischen Neuausrichtung in Finnlands Forstindustrie nehmen Finnlands Branchenfirmen schon wieder große Summen für Investitionen in die Hand. In Äänekoski erweitert Metsä Fibre seine Zellstoffproduktion – es ist die bisher größte Investition in der finnischen Forstwirtschaft.
Chancencheck
Finnische Biotech-Start-ups suchen Partner
Es sind vor allem die Branchenriesen UPM, Stora Enso und Metsä, die den Strukturwandel in Finnlands holzbasierter Biowirtschaft steuern. Zusätzlich lohnt sich der Blick auf die innovativen kleinen und mittelgroßen finnischen Anbieter alternativer Produkte und Dienstleistungen auf Holzbasis. Darunter diese Unternehmen, die auf den deutschen Markt streben und Kooperationspartner suchen:
Biofaser statt Plastik
Seitdem die drei Gründer Tuomas Mustonen, Esa Torniainen und Karita Kinnunen-Raudaskoski ihr finnisches Start-up Paptic (www.paptic.com) vor zwei Jahren auf dem Campus des Forschungsinstituts VTT in Espoo gegründet haben, kämpfen sie mit ihren innovativen Tüten gegen die Plastikmüllberge der Welt. Die stabilen Tragetaschen des Unternehmens sind nämlich weder Papier noch Plastik, sondern eben Paptic, ein neues Produkt, das zu 80 Prozent aus biologischen Materialien besteht, überwiegend Holzfasern. In Finnland geht Paptic bereits über die Ladentheken. Nun betreten die Gründer den deutschen Markt und suchen umweltbewusste Einzelhändler und Markenentwickler, die ihren Kunden schon mit der Einkaufstüte ein ökologisches Statement an die Hand geben wollen, außerdem Partner, die das vielseitige Material für weitere Zwecke nutzen möchten.
Enzyme zur Biomasseverarbeitung
Auch das 19-köpfige Team von Metgen aus dem südwestfinnischen Kaarina (www.metgen.com) schaut auf den deutschen Markt. Ihre industriellen Enzyme spalten Biomasse und verwandeln Lignozellulose in verschiedene biobasierte Chemikalien. Die Tüftler um den Gründer und CEO Alex Michine entwickeln seit 2008 enzymatische Lösungen, die zum Beispiel besser bleichen oder eine höhere Faserqualität bewahren als konventionelle Lösungen in der Papier- und Zellstoffindustrie. Deutschland ist für Metgen auch der wichtigste Markt für Biogas- und Abwasserbehandlungstechnologien. Metgens CTO Matti Heikkilä sucht daher Kunden und Kooperationspartner wie Chemieunternehmen und Membranhersteller, um neue Wasseraufbereitungslösungen zu entwickeln.
Neue Zellstofffabriken schon in Planung
Der Rekord könnte allerdings schon bald fallen, wenn die neue Zellstoffanlage des erst 2013 gegründeten Unternehmens Finnpulp Wirklichkeit wird. Das 1,4 Milliarden Euro teure Projekt wurde im Jahr 2015 von ehemaligen Managern der Branchenriesen International Paper, Metsä und Stora Enso bekannt gegeben und befindet sich derzeit in der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die Produktionsanlage soll bis zum Jahr 2020 fertig sein und dann jährlich rund 1,2 Millionen Tonnen Zellstoff produzieren. In der angeschlossenen Bioenergieanlage produziert Finnpulp durch Verbrennung von Reststoffen zudem eine Terawattstunde Strom für das finnische Netz (www.finnpulp.fi).
Im nordfinnischen Kemi plant der chinesische Investor Sunshine Kaidi New Energy Group eine Biodieselraffinerie für knapp eine Milliarde Euro, um den wachsenden europäischen Markt für erneuerbare Kraftstoffe zu bedienen. In der geplanten Raffinerie sollen 225.000 Tonnen Diesel und Benzin aus Biomasse entstehen. Für das Projekt gewann Kaidi 2016 den ehemaligen finnischen Verteidigungsminister Carl Haglund als CEO. Nie war der finnische Wald wohl eine wertvollere Investition als heute.
Biofabrik im Wald
Im Herbst 2017 eröffnete Metsä Fibre einen neuen Abschnitt seiner Zellstofffabrik im mittelfinnischen Äänekoski. Das 1,2 Milliarden Euro teure Projekt ist zurzeit die größte Investition der finnischen Forstwirtschaft. Wenn die Produktion im Juni 2018 ihre volle Kapazität erreicht, werden täglich 240 Lkw- und 70 Waggonladungen Holz angeliefert und in Zellstoff umgewandelt – jährlich 1,3 Millionen Tonnen. Metsä verbrennt nicht weiterverwendbare Reststoffe in einer hocheffizienten Anlage und speist den erzeugten Strom in das nationale Netz ein – insgesamt etwa 2,5 Prozent der finnischen Stromproduktion. Reste und Abfälle wird Metsä Fibre vollständig recyceln, das macht Äänekoski zu einer echten Biofabrik. Im angegliederten Branchen-Cluster können sich auch deutsche Unternehmen beteiligen.
Ansprechpartner:
Jari Tielinen, Senior Advisor, Finpro,
Invest in Finland
Tel.: +358/400/849 270,
jari.tielinen@investinfinland.fi
Niklas von Weymarn,
Vice President
Research and Development, Metsä Fibre
Niklas.VonWeymarn@metsagroup.com
Service & Kontakt
GTAI-Ansprechpartnerin Finnland
Barbara Kussel
+49 228 24 993 356
Schreiben Sie uns!
Weitere Informationen zu Finnland finden Sie auf der GTAI-Länderseite www.gtai.de/finnland.
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