August 2019
Autor: Jürgen Maurer
Nirgendwo sonst auf der Welt sind die Menschen im Durchschnitt so alt wie in Japan. Eine Herausforderung – für Staat und Firmen gleichermaßen. © James Whitlow Delano/laif
Als Fumio Sakiya in den 1980er-Jahren einen Namen für seine Firma suchte, wusste er genau: Er brauchte einen Begriff, der sein Unternehmen einzigartig machte und einen Wiedererkennungswert verlieh. Er entschied sich für Rorze, benannt nach dem Berg Lhotse – mit 8.516 Metern immerhin der vierthöchste Gipfel der Welt. Zwar bekommt der nicht annähernd so viel Aufmerksamkeit wie der direkt neben ihm in den Himmel ragende Mount Everest, doch Sakiya war mit der Wahl zufrieden. Lhotse bedeutet übersetzt nämlich Exzellenz und Ruhe – Eigenschaften, die sich der Unternehmer auch für seine Firma wünschte.
Mittlerweile ist aus Rorze ein international tätiges Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rund 240 Millionen Euro und mehr als 2.000 Mitarbeitern geworden. Der Hidden Champion hat eine Nische besetzt: Die Firma gehört zu den führenden Herstellern von Transportsystemen für die Bearbeitung von 300-Millimeter-Wafern. Solche Wafer sind die Hauptgrundlage, um Computerchips herzustellen.
Ähnlich wie deutsche Hidden Champions stehen auch Japans kleine und mittelgroße Unternehmen vor zahlreichen Herausforderungen. Wie können sie wettbewerbsfähig bleiben? Wie gehen sie mit dem Fachkräftemangel um? Dazu kommt, dass sich Nippon heute schon jenen Problemen stellen muss, die deutsche Unternehmen in zehn Jahren umtreiben werden und die mit demografischen Veränderungen einhergehen. Die japanische Gesellschaft schrumpft im Rekordtempo. Die Zahl der Geburten sinkt, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung. Das führt dazu, dass Japan überaltert: Rund ein Viertel aller Japaner ist mittlerweile älter als 65 Jahre. Natürlich macht sich dies auch in der Industrie bemerkbar durch ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen alten und jungen Arbeitskräften. Japanische Unternehmen suchen daher nach Wegen, damit umzugehen.
Zahlen & Fakten
US-Dollar betrug das reale Bruttoinlandsprodukt Japans im vergangenen Jahr – ein Zuwachs auf Basis der Landeswährung von 0,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
der japanischen Firmen sind kleine und mittelgroße Unternehmen. Wie viele davon als Hidden Champions gelten, hat die Regierung bislang nicht erhoben.
US-Dollar betrug der Warenwert der Exporte, die Japan 2018 nach Deutschland lieferte. Die Bundesrepublik steht damit für rund ein Fünftel aller Ausfuhren in die EU.
Quellen: Cabinet Office, UN Comtrade, METI
Herausforderung Demografie
Für Rorze stellt sich das Problem nur in begrenztem Maße. Lediglich 200 von insgesamt 2.000 Mitarbeitern arbeiten in Japan, der Rest ist weltweit verteilt und wird vor Ort rekrutiert. Aus Kostengründen hat die Firma ihre Produktion bereits Ende der 1990er-Jahre nach Vietnam verlagert und baut sie kontinuierlich aus. Ein weiterer Vorteil: Vietnam hat mit durchschnittlich 25,9 Jahren eine der jüngsten Bevölkerungen der Welt. Japan dagegen ist mit 42,9 Jahren pro Kopf die zweitälteste Gesellschaft. Dies spiegelt sich auch bei Rorze in der japanischen Belegschaft wider, deren Durchschnittsalter bei 43 Jahren liegt.
Um mit der Überalterung umzugehen, hat die japanische Regierung ein Gesetz verabschiedet, das Arbeitgeber dazu anhält, ihrem Personal bis zum 65. Lebensjahr weiter eine Beschäftigung zu gewähren. In der Praxis liegt das Renteneintrittsalter allerdings deutlich darunter: Laut dem japanischen Arbeits- und Gesundheitsministerium lag das Renteneintrittsalter der Beschäftigten bei 89 Prozent der Industriefirmen im Jahr 2017 bei 60 Jahren.
Nicht nur die alternde Belegschaft stellt Unternehmen vor Herausforderungen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Hidden Champions mit der Dynamik der Globalisierung Schritt halten. Häufig besteht die Gefahr, dass sie den Anschluss verlieren, wenn der Unternehmensgründer ausscheidet. Das fand beispielsweise Stefan Lippert heraus, der als Professor für Internationales Management an der Temple University in Tokio zu Nippons Hidden Champions forschte.
Sein Fazit: In den Grundzügen ähneln sich deutsche und japanische Hidden Champions. Sie gehören meist dem verarbeitenden Gewerbe an, wurden von technisch orientierten, ambitionierten Gründern ins Leben gerufen und sind an ihren Standorten stark verwurzelt. Doch was Talententwicklung und Profitmargen angeht, hinken japanische Weltmarktführer wegen ihres traditionellen Managementstils hinterher.
In Sachen Globalisierungsdynamik dürfte Rorze standhalten können: Zwar hat sich der mittlerweile 75-jährige Gründer Sakiya aus dem operativen Geschäft verabschiedet, doch das Unternehmen bleibt in Familienhand. Inzwischen führt sein Schwiegersohn Yoshiyuki Fujishiro die Geschäfte. Statt das Tempo zu drosseln, wagt der neue Firmenchef nun die Expansion nach Europa und hat vor Kurzem ein Büro in Dresden eröffnet.
Die Entscheidung war gut durchdacht: „Wir haben Deutschland als Standort gewählt, weil wir hier ein Cluster relevanter Branchenfirmen, hochrangige Forschungsinstitute und junge Ingenieure vorfinden“, sagt Fujishiro. Und: natürlich viele weitere versteckte Weltmarktführer.
Service & Kontakt
GTAI-Publikation „Wirtschaftsstandort Japan – Die Nummer drei der Welt wird internationaler“ zum Download.
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Mehr zu Japan lesen Sie auf der GTAI-Länderseite: www.gtai.de/japan
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