Wachstumsfantasien
Kolumbiens Landwirtschaft zählt zu den größten Exporteuren der Welt. Doch das Potenzial ist längst nicht ausgeschöpft. Exoten wie Physalis und gewinnträchtige Produkte wie Blaubeeren sollen künftig mehr Geld einbringen als die Klassiker Kaffee und Bananen.
Oktober 2020
Autor: Edwin Schuh
Ein kolumbianischer Farmarbeiter schleppt einen Sack Avocados der Sorte Hass: In den vergangenen zehn Jahren haben immer mehr Bauern auf die profitablen Lorbeergewächse umgestellt. © Jan Schochor/picture alliance
Die Geschäfte für Alejandro Velez laufen gut. Fast zu gut, wenn man bedenkt, dass Kolumbiens Wirtschaft laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds in diesem Jahr um fast acht Prozent einbrechen wird. Der 43-Jährige ist Geschäftsführer der kolumbianischen Niederlassung von Stihl, dem deutschen Weltmarktführer bei Kettensägen. Das Familienunternehmen war seit 1975 über einen Vertriebshändler in Kolumbien vertreten, 2014 eröffnete Stihl eine eigene Niederlassung im Land. Seitdem seien die Verkäufe jährlich im zweistelligen Bereich gestiegen, berichtet Velez. Selbst für das schwierige Jahr 2020 erwartet der Manager ein Wachstum von drei Prozent.
Dass Stihl 2020 in Kolumbien trotz Krise mit einem Umsatzplus rechnet, ist auch der guten Entwicklung des Agrarsektors zu verdanken. Die Landwirtschaft war von der allgemeinen Ausgangssperre ausgenommen und durfte trotz Pandemie weiter produzieren. Im ersten Halbjahr 2020 erzielte der Sektor daher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum ein Wachstum von vier Prozent, während fast alle anderen Bereiche der kolumbianischen Wirtschaft deutlich ins Minus rutschten.
Kolumbiens Bauern sind Global Player
Auch das für die Landwirtschaft wichtige Auslandsgeschäft blieb trotz Pandemie stabil. Die Agrarexporte stiegen zwischen Januar und Juni 2020 um 0,6 Prozent, während die restlichen Ausfuhren Kolumbiens um ein Drittel einbrachen. Das Land exportierte in den ersten sechs Monaten des Jahres Agrarprodukte im Wert von 3,8 Milliarden US-Dollar. Das entspricht einem Viertel der gesamten Ausfuhren.
Der Andenstaat ist bislang vor allem für seinen Kaffee bekannt. Hier ist das Land drittwichtigster Exporteur der Welt, hinter Brasilien und Vietnam. Bei Schnittblumen rangiert Kolumbien sogar auf Platz zwei nach den Niederlanden. Auch bei Bananen und Palmöl zählt Kolumbien zu den fünf größten Exporteuren. Für deutsche Anbieter von Agrartechnologie und Agrarchemikalien bieten diese Sektoren interessante Absatzmöglichkeiten.
Exotische Früchte wie Physalis, Maracuja oder Limetten sind in Kolumbien ebenfalls reichlich vorhanden und werden auch aus dem Ausland immer stärker nachgefragt. Als Vorbild dient hier die Avocado, deren Exporte Kolumbien seit 2015 verneunfachen konnte.
»Kolumbianische Landwirte könnten durch den Einsatz von mehr Technologie, wie etwa Drohnen, deutliche Effizienzsteigerungen erzielen.«
Mathias Kremer
Geschäftsführer von Bayer für die Andenregion und Zentralamerika
Gefragt: Digitalisierung – und Avocados
Einer, der genau weiß, wie der kolumbianische Markt funktioniert, ist Mathias Kremer. Er ist Geschäftsführer beim Chemiekonzern Bayer für die Andenregion und Zentralamerika und steuert von Bogotá aus die 3.500 Mitarbeiter in der Region. Neben Pharmazeutika vertreibt das Unternehmen in dem südamerikanischen Land auch Saatgut und andere Produkte für die Landwirtschaft. „Beim Pflanzenschutz hat Bayer in Kolumbien einen Marktanteil von etwa zehn Prozent“, sagt Kremer. Insgesamt verantwortet er einen jährlichen Umsatz von etwa 650 Millionen US-Dollar.
Auch der Bayer-Manager schätzt Kolumbiens Agrarindustrie mittelfristig als aussichtsreich ein. Er nennt dafür drei Gründe: erstens die fortschreitende Digitalisierung in der Landwirtschaft. „Kolumbianische Landwirte könnten durch den Einsatz von mehr Technologie, wie zum Beispiel Drohnen, deutliche Effizienzsteigerungen erzielen“, sagt Kremer. Zweitens könnte sich der Sektor künftig noch stärker auf Produkte mit hohen Margen konzentrieren, wie etwa Avocado oder Blaubeeren. Und drittens seien große Flächen in der Llanos-Region landwirtschaftlich noch immer kaum erschlossen und könnten in Zukunft viel stärker genutzt werden.
Die Llanos-Region erstreckt sich über den Nordosten Kolumbiens bis nach Venezuela. Sie weist ähnliche Eigenschaften auf wie die Cerrado-Savanne in Brasilien – wird bislang allerdings kaum landwirtschaftlich genutzt. Eine Ausnahme bildet das kolumbianische Unternehmen Aliar, das seit 2007 rund 400 Millionen US-Dollar in den Anbau von Mais und Soja sowie die Schweinefleischproduktion in den Llanos investiert hat und wiederum ein Großkunde von Bayer ist. Rund ein Viertel des heute in Kolumbien konsumierten Schweinefleischs stammt von Aliar. Exportiert wird allerdings noch nicht, da Brasilien und die USA aus Effizienzgründen noch günstiger sind. „In einigen Jahren werden wir dank Investitionen in Technologie preislich mithalten können“, meint Jaime Liévan, Präsident von Aliar. Dann dürfte der Weltmarkt um einen kolumbianischen Großexporteur reicher sein.
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