Juni 2021
Autoren: Oliver Döhne, Oliver Höflinger, Corinne Abele und Heiko Steinacher
Lena Maria Brümmer aus dem Team der Verpackungsmesse Interpack in Halle 6 der Messe Düsseldorf: Sie plant gerade die Interpack 2023. „Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder volle Messehallen zu sehen.“ Die Fotos der aktuell leeren Messe Düsseldorf hat Fotograf Jan Ladwig im April 2021 exklusiv für Markets International gemacht. © Jan Ladwig
Als im Herbst 2020 in China die ersten Messen wieder ihre Pforten für Besucher öffneten, da füllten sich die Hallen, als hätte es Corona nie gegeben. Durch die gebeutelte Messebranche ging ein Aufatmen: Der Nachholbedarf musste wohl enorm sein, ein Business as Usual nach der Pandemie rückte in greifbare Nähe. In Branchen, in denen es auf das Anfassen, Schmecken und aufs ästhetische Empfinden ankommt, ginge im digitalen Raum ohnehin das Entscheidende verloren, oder? Nicht zu vergessen der soziale Aspekt von Messen! Oft fließen doch erst in entspannter, persönlicher Atmosphäre wichtige Informationen, bildet sich Vertrauen. Oder?
Ganz so einfach ist es nicht. In der Pandemie haben viele Unternehmen digitale Alternativen zur aufwendigen Geschäftsreise in die Messestadt entdeckt, zur teuren Standlogistik, zu anstrengenden Tagen in klimatisierten Hallen. Und sie haben Gefallen daran gefunden. Angesichts des Klimawandels steht ständiges Reisen ohnehin auf dem Prüfstand. Die Messelandschaft sieht ihrer vielleicht größten Transformation entgegen.
Giosuè Cavallaro ist einer, der klar auf Digitalisierung setzt. „In Zukunft wird kaum noch jemand auf Messen gehen, nur um neue Produkte zu sehen“, ist der Marketing-Manager bei der italienischen Tochtergesellschaft des Bruchsaler Herstellers von Antriebstechnik für die Automatisierung SEW-Eurodrive überzeugt. Technische Details könne man zum Beispiel mit Augmented Reality digital sogar besser erklären.
Präsentation? Virtueller Messestand!
DAS FORMAT: Die Messetore öffnen sich per Mausklick, am 3-D-Stand verweist ein charmanter Avatar auf den elektronischen Produktkatalog und das Chatfenster. Je nach Budget können sich Aussteller Zusatzfeatures wie Videopräsentationen hinzubuchen. Insgesamt fanden 2020 fast 50 digitale Events dieser Art als Ersatz für abgesagte internationale Messen in Deutschland statt.
BEWERTUNG: Was einfach klingt, stellte sich in ersten Versuchen während der Pandemie als komplexer heraus als gedacht. Und die konkreten geschäftlichen Ergebnisse fielen eher bescheiden aus. Zahlreiche Aussteller sahen die Formate eher als Notlösung, die meisten Veranstalter wollen so schnell wie möglich zu Präsenzmessen zurückkehren. Laut einer Umfrage des Verbands der Deutschen Messewirtschaft Auma haben Aussteller mit digitalen Beteiligungen im Durchschnitt ein Viertel des Nutzens einer realen Messebeteiligung erreicht. Aber es gab auch gute Erfahrungen. Der italienische Metallblechbearbeiter Comola stellte 2020 auf der digitalen Ausgabe der Leipziger Messe Intec/Z aus und war zufrieden mit Stand und technischer Unterstützung. „Wir haben eine Liste mit Standbesuchern erhalten, sogar mehr als wir erwartet hatten“, sagt Romina Zermani, Einkäuferin bei Comola. Über Chats erhielt das Unternehmen Kontakt zu diversen Kunden.
GEEIGNET FÜR: Ausnahmesituationen, ein technikaffines Publikum und technische Produkte, Unternehmen aller Größen.
Schon vor der Coronakrise hatte Sew-Eurodrive begonnen, digitalisierte, technische Inhalte zu entwickeln, zum Beispiel eine virtuelle 360-Grad-Tour der Smart Factory in Solaro bei Mailand und Augmented-Reality-Tools für die technische Assistenz – und all das über Social Media zu streuen. Das Ziel ist dasselbe wie früher auf der Messe: SEW-Eurodrive will Kunden für sich interessieren, nur dass der Kontakt jetzt eben über moderne Serviceplattformen im Web läuft, ganz individuell. „Angesagt sind Echtzeitreaktionen auf einen genau definierten Kundenbedarf“, sagt Cavallaro. „Das geht digital schneller und gezielter.“
Was der Mittelständler praktiziert, heißt Inbound Marketing und damit ist er in der Coronakrise gut gefahren. Echte Leistungsschauen vor Ort, glaubt Cavallaro, werden in Zukunft bestenfalls spektakulären Aktionen und mobilisierenden, persönlichen Erfahrungen vorbehalten sein. „Man wird sich für einen realen Mehrwert treffen“, ist er überzeugt. „Und nicht mehr für Informationen, die bereits anderweitig verfügbar sind.“
Ian Hume von der Düsseldorfer Messelogistik im fast leeren Messebahnhof. Er ist sich sicher: „Alle sehnen sich nach persönlichen Begegnungen. © Jan Ladwig
Andreas Züge sieht diesen Prozess weniger radikal. „Digitalisierung ist bei Messen kein Schalter, den man umlegt, sondern ein Regler, der sich in die digitale Richtung verschiebt“, sagt der General Manager bei Hannover Fairs International Italy, einer Tochter der Hannover Messe. Der Trend habe schon vor der Coronakrise begonnen, bekomme nun lediglich zusätzlichen Drive.
Eines steht aus seiner Sicht aber fest: Die klassische Messe verändert sich vielleicht, wird aber keineswegs verschwinden. „Globale Kundenumfragen ergeben einen Bedarf an digitalen Elementen von rund 20 Prozent“, stellt Züge klar. „Die Geschäftsgrundlage für Messen bleibt erhalten“, ist auch Wolfram Diener überzeugt, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf, der seine derzeit leeren Hallen exklusiv für das Fotoshooting dieser Ausgabe aufgesperrt hat. „Beim Wiederaufleben der Wirtschaft werden Messen eine zentrale Rolle spielen.“ Er will in der Coronazeit entstandene Digitalformate für Präsenzmessen „weiterentwickeln“. Der Blick auf wichtige internationale Märkte gibt den beiden Messemachern recht.
Messen werden Digitaldienstleister
Beispiel Italien: Für den wichtigen Messemarkt war 2020 ein rabenschwarzes Jahr. Die Veranstalter in Mailand, Verona, Bologna und Rimini, die sonst vor allem die Mode-, Möbel- und Lebensmittelwelt zusammenbringen, büßten rund 80 Prozent ihres Umsatzes ein. Besonders Mailand lebt vom Zustrom internationaler Messe- und Kongressbesucher – und hatte besonders viel zu verlieren: 2019 hatten die Veranstaltungen des drittgrößten überdachten Messegeländes der Welt noch einen Umsatz von 46,6 Milliarden Euro mit sich gebracht, hat der Thinktank The European House – Ambrosetti ermittelt.
der deutschen Unternehmen wollen auch in Zukunft reale Messen nutzen – plus digitaler Erweiterungen. Das hat eine Umfrage des Messeverbands Auma im Januar 2021 ergeben.
der Befragten sehen virtuelle Events als Notlösung und würden sie wieder aufgeben, sobald das möglich ist. Für 14 Prozent kommen sie überhaupt nicht infrage. Immerhin würden 21 Prozent dagegen sogar komplett auf reale Messen verzichten.
Die Messe Mailand will deshalb künftig mehr sein als Veranstalter und Vermieter von Messeflächen. Im ambitionierten Strategieplan Connect 2025 plant sie, in Kooperation mit Partnern auch zum digitalen Dienstleister zu werden. Bis 2025 will sie insgesamt bis zu 125 Millionen Euro investieren. Interessierte sollen sich vor der Messe auf einem Portal über Testimonials und Branchendossiers auf den neuesten Stand bringen können. Vorevents mit Präsentationen und Diskussionsrunden werden als digitale Appetithappen dienen. Daraus sollen Community-Plattformen wachsen, welche die Branche dann das ganze Jahr über miteinander verbinden.
Die eigentliche Messe, weiterhin größtenteils physisch, bleibt der Star – allerdings digital aufgewertet. Jede Messe bekommt eine App, über die sich Besucher auf dem Gelände orientieren, Essen reservieren und zahlreiche weitere Dienstleistungen in Anspruch nehmen können. Bei der Orientierung helfen außerdem weiträumig installierte LED-Informationsleinwände und Infopoints.
Auf einem digitalen Portal können sich Aussteller mit interaktiven Produktkatalogen oder Einspielfilmen präsentieren. Über Datenanalyse erfahren sie, wer in der Nähe des Standes war und interessiert sein könnte. Das Ganze findet natürlich unter Beachtung des Datenschutzes statt. Aussteller und Besucher sollen sich digital treffen und im virtuellen Raum sogar Geschäfte abschließen können. Mit High-Definition-Videoübertragungen und -Streamings will die Messe Mailand zu Europas führendem Zentrum für digital-analoge Hybridkongresse werden.
Bei der vermieteten Fläche rechnet die Messe Mailand 2025 mit zwölf Prozent weniger als vor dem Pandemieausbruch. Durch digitale Zusatzdienstleistungen, neue Messen in den bislang weitgehend ungenutzten Sommermonaten und zu Trendthemen wie Greentech, Lifesciences und E-Business will sie aber bis dahin beim Umsatz wieder deutlich über 2019 liegen.
Laufkundschaft? Inbound Marketing!
DAS FORMAT: Im Internet hinterlässt man Spuren: in Form von Likes, Kommentaren, Suchanfragen oder Downloads. Unternehmen können per Datenanalyse solche Reaktionen auswerten und so analysieren, was den einzelnen Nutzer genau interessiert. Beim Inbound Marketing streuen Unternehmen dazu kontinuierlich interessante und relevante Inhalte über verschiedene digitale Kanäle: vom Awareness-Post und Branchennews auf LinkedIn, über Links zu Fachartikeln auf Twitter bis zu Videos zu Technologie und Brancheninterviews auf Youtube. Dann betreuen sie die Interessenten individuell, über eine Internetplattform und Videogespräche.
BEWERTUNG: Interessenten werden zielgerichtet, aber unaufdringlich an das Unternehmensangebot herangeführt. „Wir klopfen an keine Türen“, sagt Giosuè Cavallaro, Marketing Manager beim Bruchsaler Antriebshersteller SEW-Eurodrive in Italien. „Wir unterstützen potenzielle Neukunden und bestehende Partner dabei, ihren Bedarf zu artikulieren und zu befriedigen.“ So kann ein Unternehmen in den Augen des Kunden zu mehr werden als einem Lieferanten: zum Partner. Oft ergibt sich so, laut Cavallaro, auch Neugeschäft mit Bestandskunden. Entsprechend aktiv sind die Mitarbeiter von SEW-Eurodrive, Posts, Infografiken, E-Books und Whitepaper zu verbreiten, jeweils abzielend auf bestimmte Personengruppen.
GEEIGNET FÜR: Breite Suche nach Partnern und Kunden, Aufbau einer dauerhaften Gefolgschaft und Community, auch für kleinere Unternehmen interessant.
KI übernimmt das Matchmaking
Auch in den USA deutet vieles darauf hin, dass die Zukunft der Messen in hybriden Formaten liegt, zumal Lockdowns und Reisebeschränkungen vielerorts erst einmal andauern dürften. Viele Unternehmen könnten noch länger auf teure Geschäftsreisen verzichten, ähnlich wie nach der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 und 2009. Laut einer Befragung der Onlineplattform Northstar Meetings Group arbeiten 90 Prozent der Veranstaltungsplaner in den USA an Events mit Onlinekomponenten.
Beispiel Consumer Electronics Show (CES): Zog die Elektronikmesse Anfang Januar 2020 noch rund 170.000 Fachbesucher nach Las Vegas, war es ein Jahr später bei der virtuellen Variante weniger als die Hälfte. Auch die Zahl der präsentierenden Unternehmen hat sich 2021 in etwa halbiert. Der Veranstalter wertet das angesichts der Pandemie als Erfolg.
Gary Shapiro, Präsident der US-amerikanischen Consumer Technology Association, dem Veranstalter der CES, sieht aber das Dilemma: Sollten Aussteller die digitale CES ebenfalls als Erfolg werten, bleiben sie vielleicht dauerhaft zu Hause. Sehen sie die Digitalvariante als Flop, leidet das Image. 2022 sei zwar wieder eine Vor-Ort-Veranstaltung in Las Vegas geplant, aber zusätzlich dazu will Shapiro „das Beste aus den digitalen Möglichkeiten mit rübernehmen“. Wie das genau aussehen soll, ist offen.
„Auf der CES hat es richtig gut geklappt, mit Führungspersonen von Unternehmen in Kontakt zu kommen“, berichtet Angelika Geiger, Investorenanwerberin für Germany Trade & Invest in San Francisco. „Mit wenigen Klicks kam ich an die richtigen Ansprechpartner, auch die Tools für persönliche Meetings per Videokonferenz funktionierten super – das gilt aber nicht für alle virtuellen US-Messen, die ich seit dem Coronaausbruch besucht habe.“ Die Anbieter der Digitalplattformen beeilen sich, ihre Matchmaking- und Networking-Funktionen zu vervollkommnen. Neue Lösungen, an denen US-Softwarefirmen wie Cadence Design Systems und CadmiumCD arbeiten, basieren häufig auf künstlicher Intelligenz (KI).
Annette Walz aus dem Team von Düsseldorf Congress: „Schon vor der Pandemie war klar: Kongresse und Businessevents müssen immer digitaler aufgeladen werden.“ © Jan Ladwig
Experten erwarten auch, dass Computerspielformate sowie erweiterte (AR) und virtuelle Realität (VR) dabei immer wichtiger werden. Denn sie verbessern nicht nur Kundenerlebnisse, sondern signalisieren auch Modernität. „Die Eventbranche wird sich in den nächsten drei Jahren stärker verändern als in den letzten zehn Jahren“, sagt Julius Solaris von der Event-Networking-Plattform Swapcard.
Der Digitalisierungsschub der Veranstaltungsbranche macht dabei ausgerechnet Start-ups zu schaffen. Für sie ist es schwieriger geworden, bei rein virtuellen Veranstaltungen auf sich aufmerksam zu machen. Denn in normalen Zeiten leben sie vom persönlichen Kontakt mit Wagniskapitalgebern und anderen Gründerteams. So mancher Gründer äußerte sich deshalb kritisch über Events wie die virtuelle US-Technologiemesse Techcrunch Disrupt im September 2020 in San Francisco.
Internetkonzerne mischen mit
Auch in China experimentieren Veranstalter mit digitalen Erweiterungen. Eine ausschließlich digitale Shanghai Fashionshow streamte im März 2020 alle Laufstegshows und stellte sie online. Eine Woche lang waren sie auf der chinesischen Streamingplattform Taobao zu sehen. Zuschauer konnten Kommentare abgeben und per Klick zu den jeweiligen Onlineshops der Modemarken gelangen.
Die B2C-Tmall-Fashion-Verkaufsshow ist zur festen Ergänzung der längst wieder physisch stattfindenden Show geworden. Auch andere Konsumentenmessen wie die Gaming-Messe China Joy werden inzwischen durch Livestreaming-Events ergänzt.
INTERVIEW
»Wir bleiben Messeland Nummer eins.«
Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Messeverbands Auma, erklärt im Interview mit Markets International, warum Messen sich nicht zu 100 Prozent digitalisieren lassen und weshalb er auf ein Comeback nach Corona setzt.
Bei Industriefachmessen dürfte das deutlich schwieriger werden. Vor allem der persönliche Austausch zwischen Technologieexperten sei in virtuellen Messeformaten kaum möglich, findet Michael Kruppe, General Manager des Shanghai New International Expo Centre, einem Joint Venture der deutschen Messen München, Düsseldorf und Hannover mit der Shanghai Lujiazui Development Group. Prinzipiell seien virtuelle Zusatzangebote zwar nice to have, jedoch dürfte deren Umsatzanteil erfahrungsgemäß unter zwei Prozent bleiben. „Das Modell Hybridmesse ist einfach nicht kostendeckend“, resümiert Kruppe.
Chinas Wirtschaftsministerium unterstützt die digitale Transformation der Messebranche. Und die Internetgiganten Alibaba und Tencent mischen kräftig mit. Sie bieten den Messeveranstaltern neue cloudbasierte Plattformen für ihre Hybridevents an. Tencent etwa hat auf der ersten digitalen Kantonmesse im Juni 2020 als Technologiepartner digitale Matchmakings und Vertragsunterzeichnungen möglich gemacht, Livestreaming und Instant Messaging mit Simultanübersetzungen – alles gut verschlüsselt.
Alibaba wiederum hat im Mai 2020 mit dem Council for the Promotion of International Trade in Shanghai ein Joint Venture für digitale Messen und Ausstellungen gegründet, war Technologiepartner der China International Fair for Investment and Trade in Xiamen im September 2020. Auch GTAI baute dort einen virtuellen Stand auf.
Kennenlernen? Virtuelles Matchmaking!
DAS FORMAT: Ein gezielter Weg zu Vertriebspartnern oder Lieferanten sind organisierte Matchmaking-Events. Dabei suchen Messeveranstalter, oft auch Auslandshandelskammern oder Berater, anhand genauer Profile nach internationalen Counterparts für Videogespräche.
BEWERTUNG: „Statt eine Woche zu reisen, ist nach spätestens zehn Minuten klar, ob es passen könnte oder nicht“, sagt Benedikt Heid, Sales Director der Wieslocher Firma Engelmann Sensor, die Messgeräte für Verbrauchsdaten entwickelt und herstellt. Dank sehr guter Vorarbeit der Auslandshandelskammern fand Heid so „hoffnungsvolle Vertriebskontakte“ in Malaysia, Hongkong und Israel und hatte dabei selbst relativ wenig Aufwand. Besonders gut gefällt ihm an diesem Speed Dating, dass beide Seiten schnörkellos ihre Ziele offenlegen.
Diese Meinung teilt Torsten Birkenkamp, Teamleiter Einkauf bei der schweizerischen Firma Schleuniger, einem Maschinenhersteller für die Kabelverarbeitung. Ihn überzeugte das Format unter anderem bei einem digitalen Treffen mit potenziellen Zulieferern aus Italien, organisiert von der Italienischen Handelskammer für Deutschland. „Dinge wie Umsatz und Referenzen sind vorher geklärt, so ist der Weg frei für das Wesentliche.“ Früher sei er gern auf Messen gegangen, nun ziehe er es vor, sich ein bis zwei Videogespräche in den normalen Arbeitstag zu legen.
GEEIGNET FÜR: Erstkontakte zu genau definierten Wunschpartnern, besonders in entfernten oder mehreren Ländern, für kleine und mittlere Firmen.
Einige Industrieunternehmen nehmen das digitale Heft gleich selbst in die Hand. Als die wichtige Fachmesse Chinaplas im April 2020 ausfiel, veranstaltete der deutsche Chemiekonzern Lanxess den ersten Lanxess Virtual Day in Apac. Herzstück der viertägigen virtuellen Veranstaltung waren 56 Webinare mit Experten aus Deutschland, Amerika, China, Japan und den Asean-Staaten.
Gute Vorbereitung ist das A und O
Dass die meisten Messen seit einem Jahr rein digital stattfänden, verändere die Anforderungen an die Planung, sagt Asha-Maria Sharma, Expertin der GTAI-Investorenanwerbung. Ihre Abteilung nutzt regelmäßig internationale Messen, um potenzielle Investoren kennenzulernen.
Digitale Formate, sagt GTAI-Marketingexpertin Madeleine Tischer, sind für Teilnehmer und Organisatoren nicht unbedingt weniger aufwendig als klassische Messen. Sie haben aber einen entscheidenden Vorteil: Sie erreichen potenziell ein weitaus größeres Publikum. Damit gewinnt die Akquise von Neukontakten neue Dimensionen, und Branchen-Communitys wachsen. Mit KI und VR werden virtuelle Events besonders attraktiv. Wichtig ist es, den Zugang für Kunden so einfach und intuitiv wie möglich zu gestalten. „Hilfreich sind zum Beispiel Tutorials, die die Bedienung auf der Eventplattform erklären“, sagt Tischer.
Wolfram N. Diener, Vorsitzender der Geschäftsführung der Messe Düsseldorf, am Eingang Süd. Er glaubt an das Format: „Präsenzmessen bieten den Faktor Mensch – unerlässlich, um Vertrauen zu schaffen.“ © Jan Ladwig
Für Beratungs- und Serviceunternehmen sind virtuelle Formate einerseits eine Art Heimspiel. Sie verfügen ohnehin nicht über Exponate, sondern sind auf Kurzvideos, Broschüren und Präsentationen angewiesen – das gilt bei digitalen Messen für alle Aussteller. Andererseits haben sie es auch schwerer, denn ihre eigentliche Dienstleistung entsteht erst im persönlichen Gespräch.
Wichtig: Kunden verbringen viel weniger Zeit auf virtuellen Messen als auf physischen Events. Sie suchen schnelle, direkte und klare Hinweise zu Inhalten, außerdem sichtbare Anwendungsbeispiele. „Aus unserer Erfahrung ist daher ein gutes Matchmaking -Tool mit umfassenden Recherchemöglichkeiten sinnvoll“, sagt Investorenanwerberin Sharma. „Mit einfacher Terminvereinbarung und kuratierten Teilnehmern.“
Gespräche? Streaming und Online-Kongress!
DAS FORMAT: Vorträge und Diskussionsrunden sind leichter digitalisierbar als andere Messeelemente, sei es als Webinar, Onlineschulung, digitale Paneldiskussion oder gar mehrtägige virtuelle Hausmesse.
BEWERTUNG: Der erste Virtual Day des Spezialchemiekonzerns Lanxess für den Asien- Pazifik-Raum Mitte September 2020 lief gut. „Bei den technischen Webinaren hatten wir mehr als 3.500 Teilnehmer, darunter gut ein Drittel Bestandskunden und etwas über ein Drittel potenzielle Neukunden“, resümiert Ulf Dressler, Leiter des Bereichs Unternehmenskommunikation für Asien. „Für unsere Produkte ist das ein super Ergebnis.“ Auch Vertreter kleiner Firmen bleiben als Fachreferenten oder Diskussionsteilnehmer bei virtuellen Events fachlich auf der Höhe. Der Vorteil des Formats: Referenten können sehr leicht Experten aus verschiedensten Ländern zuschalten – unabhängig von Budget-, Zeit- oder Reiserisikofragen. Der Nachteil: Bei langen Frontalvorträgen ohne Spannungselemente droht der „Tod durch Powerpoint“, und Redner können ihre Zuhörer verlieren. „Vor dem Bildschirm ist die Aufmerksamkeitsspanne wesentlich kürzer als auf dem Kongressstuhl“, sagt Klaus Meier von der Kommunikationsagentur DRPG. „Da gibt es viel zu bedenken, von der Inszenierung und Moderation bis zu Bühnenbild, Schnitt und Licht.“
GEEIGNET FÜR: Technische Information von Bestandskunden und Prospects, Netzwerkausbau, Expertise vor Fachpublikum beweisen.
Je schneller Besucher Informationen finden und je besser Zusatzinformationen vor und nach dem Event verlinkt sind, desto höher die Chancen, wahrgenommen zu werden. Und: Wie auf physischen Veranstaltungen auch müssen Unternehmen schnell auf Kontaktanfragen reagieren.
Für Messen bleibt alles anders
Präsenzmessen behalten also ihre Daseinsberechtigung. Vieles erfordert weiterhin ein reales Mittendrin statt nur ein digitales Dabei. Ein Zurück zum Business as Usual wird es dennoch nicht geben. Die Messeveranstalter werden zahlreiche digitale Elemente einführen, wollen aber auch in Zukunft ihre Flächen vermieten.
Unternehmen sollten überlegen, was ihnen die physische Anwesenheit auf einer Messe genau bringt, und für neue Ideen offen sein. Social Media werden zunehmend zum Marketinginstrument. Digitale Tools können Zeit sparen, sind aber nicht grundsätzlich günstiger. Für einen effizienten Einsatz der gesamten modernen Marketingklaviatur ist neben Technik und Know-how auch oft ein Mentalitätswechsel im Unternehmen erforderlich.
Digitalisierungsfan Giosuè Cavallaro von SEW-Eurodrive weiß das. „Unternehmer mit langer Erfahrung können von jungen Kollegen den gewandten Umgang mit digitalen Medien lernen“, empfiehlt er. Im Gegenzug könnten die alten Hasen den jungen Wilden beibringen, den Kundenbedarf zu erkennen. „So lassen sich gemeinsam wirklich nützliche und interessante Inhalte schaffen.“
Begeisterung? Hybridevents!
DAS FORMAT: Veranstalter wollen reale Events immer öfter durch diverse digitale Instrumente ergänzen. Damit wollen sie gleichzeitig das Publikum vor Ort wie auch die Zuschauer vor den Bildschirmen in den Bann ziehen. Das kann in Form professioneller Shows auf Kongressbühnen und/oder im Studio geschehen – mit spezialisiertem Moderator, anwesenden Zuschauern, Augmented- oder Extended-Reality-Bühne und vorproduzierten Einspielern oder aber in kleinerem Rahmen auch direkt am einzelnen Messestand selbst.
BEWERTUNG: Die Entwicklung hybrider Eventstrategien und -kampagnen steht erst am Anfang. Dabei geht es laut Experten nicht nur um Tools und Inhalte, sondern in erster Linie darum, das Wesen und die Besonderheiten des Mediums zu verstehen und sinnvoll zu nutzen. Die wichtigste Voraussetzung dabei: Unternehmen müssen Kundenerlebnisse, die real und digital sehr unterschiedlich ausfallen können, parallel berücksichtigen und beiden Gruppen einen vollen Mehrwert garantieren. Hier tut sich in jedem Fall ein weites Feld auf, das für Unternehmen bei richtigem Einsatz einen erheblichen Zusatznutzen bieten kann. Weil es jedoch kaum Erfahrungswerte gibt, bleibt abzuwarten, mit welchen Konzepten Veranstalter an den Start gehen.
GEEIGNET FÜR: Emotionalisierende, interaktive Informationsveranstaltungen. Auch als digitale Erweiterung von Standpräsenzen denkbar, außerdem als Instrument der internen Kommunikation für Unternehmen mit Mitarbeitern in verschiedenen Ländern.
Digitale Formate für China
Digitale Tools schaffen neue Möglichkeiten im Geschäftsalltag – nicht erst seit Covid-19. Das gilt etwa für virtuelle Messeteilnahmen und im Speziellen für China. Digitale Messen können zwar den persönlichen Kontakt nicht ersetzen, sie bieten aber eine Alternative. Mehr dazu im aktuellen GTAI-Fact Sheet.
Die Branche verändert sich
Wie verändert die Coronapandemie die Art und Weise, wie Unternehmen Messen nutzen? Die Antwort des internationalen Messeveranstalters Reed Exhibitions in seiner Studie „COVID-19 and How it’s Changing the Event Industry“: Der Wandel ist fundamental. Wo es hingeht und was auch nach der Pandemie bleibt.
Anleitung für Events
Expo-IP, ein Anbieter virtueller Messeformate, erklärt in seinem Whitepaper, wie Unternehmen ein digitales Event vorbereiten und planen. Auf 87 Seiten gehen die Experten alles durch: von Registrierungsseite und Landingpage bis zum Reporting. Das Angebot ist kostenlos.
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