»Wir haben Investitionsbedarf«

Attila Steiner, Staatssekretär im ungarischen Ministerium für Innovation und Technologie, im Interview mit Markets International.

Dezember 2021
Interview: Waldemar Lichter

Was hat die ungarische Regierung bewogen, die Wasserstoffstrategie zu verabschieden? Sind das die Klimaziele der EU und Ungarns, die sich mit Wasserstoff besser erreichen lassen? Oder will Ungarn in Zukunft auf dem Markt für Wasserstoff in Europa besser „mitmischen“ und muss deshalb die Wasserstoffindustrie fördern?

Ungarn ist für das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 engagiert. Obwohl die auf erneuerbaren Energien basierende Elektrifizierung in vielen Bereichen eine Lösung zur Dekarbonisierung bietet, sehen wir auch die Grenzen der Technologie. Glücklicherweise ergeben Wasserstoff und seine Derivate sowie die Wasserstofftechnologie da eine Lösung, wo die Elektrifizierung keine echte Alternative bietet. Wasserstoff kann unser Arsenal jetzt um ein Instrument erweitert werden, das uns das Erreichen der Klimaneutralität bis 2050 nebst Wirtschaftskonjunktur möglich macht.

Welche Elemente / Ziele der Strategie sind nach Ihrer Einschätzung die wichtigsten – für Ungarn?

Die Umsetzung der Wasserstoffstrategie erfordert von uns einen globalen Denkansatz. Das heißt, wir brauchen eine Annäherung der ganzen Wasserstoffversorgungskette, der sowohl die Produktions- (Angebots-)seite als auch die Infrastrukturen für den Transport und die Speicherung von Wasserstoff sowie die verschiedenen Endverbraucherakteure (Nachfrageseite) und deren verwendeten Technologien umfasst.

Auf der Eingriffsseite umfassen unsere wichtigsten Aufgaben den Ersatz des derzeitigen grauen Wasserstoffs durch kohlenstofffreien und kohlenstoffarmen Wasserstoff, die weitere Unterstützung unserer Bemühungen zur Ökologisierung des Verkehrs durch Wasserstoff und Brennstoffzellen sowie die Schaffung einer Gas- und Strominfrastruktur zur Unterstützung der Wasserstoffwirtschaft. (Letztes umfasst die Zuleitung von Wasserstoff in das Erdgasnetz und der Verwertung des Potenzials von Wasserstoff zur saisonalen Energiespeicherung).

Gibt es Unterschiede zwischen der deutschen und der ungarischen Wasserstoffstrategie oder Gemeinsamkeiten? Die wichtigsten?

Ich sehe, dass es zwischen den beiden Strategien mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede gibt. Ich möchte nur einige davon erwähnen. Sowohl Deutschland als auch Ungarn schreiben Wasserstoff eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung und Klimaneutralität zu. Dekarbonisierungsziele sind grundsätzlich die Haupttreibkräfte. In beiden Strategien sind die beiden wichtigsten Sektoren Verkehr und Industrie, genau die Bereiche, in denen die Dekarbonisierung bisher die schwierigste Aufgabe bedeutete. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass beide Länder das Potenzial der industriellen Entwicklung ausnutzen wollen. Zu diesem Zweck räumen sowohl die deutsche als auch die ungarische Politik den FEI-Aktivitäten und der Bildung eine Schlüsselrolle ein.

Was die Unterschiede angeht, möchte ich darauf hinweisen, dass Ungarn sich nicht nur auf erneuerbaren (grünen) Wasserstoff stützt, sondern auch das Potenzial von nuklearbasiertem Wasserstoff ausnutzen will, und dass wir bei der Herstellung von erneuerbarem (grünem) Wasserstoff vor allem auf Solarenergie setzen, während Deutschland hauptsächlich auf Windenergie basiert. Diese Unterschiede sind verständlich, da die beiden Länder über unterschiedlichen Gegebenheiten und damit unterschiedlichen Energiemixe verfügen. Dieser Unterschied könnte sich jedoch positiv auf den europäischen Wasserstoffraum auswirken, da er uns auf europäischer Ebene stärkt.

»Unser Ziel ist, dass der einheimische Bedarf mit Wasserstoff abgedeckt werden kann«

Attila Steiner
Staatssekretär im ungarischen Ministerium für Innovation und Technologie

Ungarn will ein Player auf dem europäischen Wasserstoffmarkt werden. Wie werden die Chancen dafür bewertet? Sehen Sie Interesse aus Deutschland für Importe von Wasserstoff aus Ungarn?

Die Annahme der Ungarischen Wasserstoffstrategie kann der ungarischen Wasserstoffwirtschaft einen Aufschwung geben. Unser Ziel ist, dass der einheimische Bedarf mit Wasserstoff abgedeckt werden kann und ungarische Unternehmen in bestimmten Marktlücken auf dem europäischen Markt eine entscheidende Rolle spielen können.

Welche „Hausaufgaben“ muss Ungarn noch tun, um in dem Wasserstoffsektor in Europa / Deutschland eine Rolle zu spielen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt werden – etwa im Bezug auf Transport, Speicherung etc.?

Unser wichtigstes Ziel ist, die in der Strategie gestellten Aufgaben, insbesondere die dort genannten sechs Schwerpunktprogramme, gemeinsam mit den Marktteilnehmern umzusetzen. Zur Unterstützung dieser Aufgabe haben wir den Rat für Wasserstoffstrategie eingerichtet, das die Regierung bei der Umsetzung von Schwerpunktprogrammen und anderen Aufgaben fachlich unterstützt.

Zu Kooperationsmöglichkeiten mit Deutschland / deutschen Unternehmen – wo können Möglichkeiten und Chancen entstehen?

Inländische Unternehmen sind fähig, verschiedene wasserstoffbasierte Lösungen und Technologien zu entwickeln und herzustellen. Die Entwicklung und Markteinführung innovativer Lösungen liegt vor allem im Bereich der Systemintegration. Darüber hinaus kann die Planung/Entwicklung/Produktion der Komponenten der technologischen Einheiten den größten heimischen Mehrwert darstellen.

Gibt es Bedarf an Technologietransfer, an deutschen Investitionen in ungarische Infrastruktur / Erzeugung etc?

An einigen Bereichen verfügen deutsche Unternehmen über mehr Erfahrung, Wissen und Kapital als ungarische Industrieunternehmen. Daher würde der Technologietransfer bestimmt der ungarischen Wirtschaft die Möglichkeit bieten, den Übergang zur Wasserstofftechnologie zu beschleunigen. Natürlich kann das deutsche Kapital auch auf der Wasserstofftechnologiemarkt einen Platz haben. Zu den wichtigsten Richtungen der ungarischen Wirtschaftspolitik gehört es, den Anteil der Investitionen mit höherer Wertschöpfung zu erhöhen und Investitionen von Unternehmen zu fördern, die moderne Industrietechnologien einsetzen. Es ist weiterhin wichtig, dass kleine und mittelständische Lieferanten sich in die Wertschöpfungskette ausländischer (und damit deutscher) Unternehmen anschließen, um ihnen die möglichst größte Rolle bei der Steigerung der ungarischen Wertschöpfung zu bieten.

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