Wege aus der Krise
Was bedeuten die Coronahilfen der EU für die deutsche Wirtschaft und wie können deutsche Firmen von weltweiten Konjunkturprogrammen profitieren? Fragen an Dr. Ilja Nothnagel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag
Oktober 2020
Interview: Achim Haug
Die Europäische Union ist der wichtigste Exportmarkt für die deutsche Wirtschaft. Was bedeutet die Einigung auf das Corona-Hilfspaket und den neuen EU-Haushalt für die deutsche Wirtschaft?
Deutsche Unternehmen wickeln 60 Prozent ihrer Im- und Exporte mit anderen EU-Ländern ab. Die deutsche Wirtschaft wird daher nur dann wieder Fahrt aufnehmen können, wenn auch unsere europäischen Nachbarn wieder auf die Beine kommen. Die Einigung war in diesem Kontext ein wichtiges Zeichen, dass man die wirtschaftliche Krise gemeinsam angeht. Es sind aus Sicht der Unternehmen allerdings noch eine Reihe wichtiger Details zu klären. Das betrifft sowohl die einzelnen Hilfen und Projekte, die den Kern des Recovery Fonds ausmachen sollen, als auch Finanzierungsaspekte.
Welche Bereiche des nun auf den Weg gebrachten Pakets halten Sie für die deutsche Außenwirtschaft für besonders interessant?
Die Basis für konkrete Auszahlungen sind Aufbaupläne, die jeder Mitgliedstaat selbst entwirft und der EU vorlegt. Es ist also noch nicht genau abzusehen, in welche Projekte diese mehr als 670 Milliarden Euro genau fließen werden. Im Interesse der deutschen Wirtschaft ist es, wenn die beschlossenen Maßnahmen möglichst schnell und möglichst effektiv umgesetzt werden. Wegen des hohen Anteils der EU am gesamten deutschen Export wird es darauf ankommen, dass die besonders hart von der Corona-Krise betroffenen EU-Mitgliedstaaten sich auch nachhaltig erholen werden. In diesen Ländern können die umfangreichen Hilfen auch zu strukturellen Verbesserungen der Standortbedingungen beitragen. Letztlich kann eine Verknüpfung von Hilfen an die Umsetzung von Reformen auch den Binnenmarkt stärken und Europas Wirtschaft insgesamt weniger anfällig für Krisen machen.
Ilja Nothnagel ist Mitglied der Hauptgeschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags in Berlin. © DIHK
Die Krise wird von manchen Staaten zum Umsteuern genutzt. Sehen Sie dafür auch Ansätze im Paket der EU, etwa Klimaschutz oder Digitalisierung?
Aspekte zu Klimaschutz und Digitalisierung finden sich in den Paketen wieder. Es gibt die Chance, dass öffentliche und private Investitionen sowohl zu einer wirtschaftlichen Erholung der Mitgliedstaaten von den Corona-Folgen beitragen, als auch Klimaschutz und Digitalisierung voranbringen. Ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die eingesetzten Mittel tatsächlich helfen, die Mitgliedstaaten bei diesen Zielen voranzubringen, werden die konkreten Projekte zeigen. Die EU-Kommission will jährlich zumindest über die Ausgaben für Klimaschutzmaßnahmen berichten. Ähnliches wäre für Digitalisierungsmaßnahmen sicherlich sinnvoll.
Welche Mitglieder der EU dürften sich nach Ihrer Einschätzung am schnellsten von der Corona-Krise erholen? Und welche Staaten profitieren am stärksten von den Hilfen?
Laut World Business Outlook der AHK rechnet knapp die Hälfte der deutschen Unternehmen in der Eurozone erst im kommenden Jahr mit einer konjunkturellen Erholung. 43 Prozent sogar erst 2022 oder noch später. Derzeit steht wohl außer Frage, dass die wirtschaftliche Erholung davon abhängig ist, wie sich die Covid-19-Pandemie entwickelt. Letztlich können die EU-Programme einen wichtigen Teil dazu beitragen, dass neben den nationalen Paketen weitere Mittel für eine Stabilisierung eingesetzt werden können.
Weltweit werden in vielen Staaten Konjunkturpakte gegen die Coronakrise erlassen. Sehen Sie hier besondere Chancen für deutsche Unternehmen? Und wenn ja, welche?
Deutsche Unternehmen können auch von den konjunkturstützenden Maßnahmen anderer Staaten profitieren, weil die Wirtschaft hierzulande sehr stark international ausgerichtet ist. Im Jahr 2019 lag der Anteil der Warenexporte am Bruttoinlandsprodukt bei 38,6 Prozent. Deutsche Unternehmen profitieren also erheblich davon, wenn die Krise in anderen Mitgliedstaaten durch EU-Hilfen und nationale Hilfsprogramme abgefedert wird und damit die Nachfrage nach in Deutschland hergestellten Produkten wieder anziehen kann. Zudem sind viele Unternehmen mit eigenen Tochtergesellschaften und Betriebsstätten im Ausland präsent. Unmittelbar positiv wirkt sich für deutsche Unternehmen aus, wenn durch die verschiedenen Hilfsmaßnahmen wichtige Lieferketten aufrechterhalten werden.
Gibt es bestimmte Branchen, die von den Konjunkturmaßnahmen der EU oder in anderen Ländern weltweit am ehesten profitieren können?
Profitieren dürfte weltweit vor allem der Gesundheitssektor. Ein erheblicher Teil der Hilfsmittel wird vordringlich in funktionsfähige Gesundheitssysteme investiert werden. Zudem dürfte die digitale Infrastruktur weltweit mit höherem Tempo ausgebaut werden. Die Krise hat Versäumnisse hier deutlich aufgedeckt. Die Geschwindigkeit der wirtschaftlichen Erholung wird in sehr vielen Ländern auch davon abhängen, wie schnell es gelingt, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur aufzubauen. Das betrifft nicht nur die meisten Produktionsprozesse und zunehmend auch den Dienstleistungssektor.
Die Krise hat auch die Verletzlichkeit der deutschen Exportabhängigkeit offengelegt, die Globalisierung wird von manchen Kommentatoren bereits abgeschrieben. Muss die deutsche Außenwirtschaft nach der Krise umjustieren?
Leider nehmen Handelshemmnisse und Tendenzen zur Abschottung zu. Gerade mit Blick auf Lieferketten wird der Aspekt der Produktions- und Liefersicherheit an Bedeutung gewinnen. Das steht eigentlich für eine stärkere internationale Arbeitsteilung. Denn Globalisierung ist die Vielfalt von Produkten und Dienstleistungen, Standorten, Lieferanten und Kunden. Globalisierung ist deshalb Teil der Risikostreuung von Volkswirtschaften und erhöht die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen.
Welche globalen Trends, die künftig stärker zum Tragen kommen, müssen die deutschen Unternehmen in ihre mittel- bis langfristige Planung miteinbeziehen?
Die größten Trends sind aus meiner Sicht ganz klar: mehr Digitalisierung sowie mehr Nachhaltigkeit. Wir sehen aber auch eine stärkere Rolle des Staates. Schon vor der Coronakrise hat der Protektionismus weltweit zugenommen und die Geschäfte der Unternehmen erschwert. Aktuell sehen wir nun immer mehr Tendenzen von Staaten – auch innerhalb der EU – ganze Wertschöpfungsketten regulieren zu wollen. Die Wahl der Standorte und Lieferanten sollte aber in erster Linie eine unternehmerische Entscheidung bleiben.
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