»Wir bleiben Messeland Nummer Eins.«

Jörn Holtmeier, Geschäftsführer des Messeverbands Auma, erklärt, warum Messen sich nicht zu 100 Prozent digitalisieren lassen und weshalb er auf ein Comeback nach Corona setzt.

Juni 2021
Interview: Oliver Höflinger

Jörn Holtmeier ist seit 2020 Geschäftsführer des Auma – Verband der deutschen Messewirtschaft, in dem 36 Messeveranstalter organisiert sind. © AUMA

Markets International: Corona hat Messeveranstalter welt­ weit gezwungen, auf digitale Formate auszuweichen. Machen sie physische Messen jetzt dauerhaft überflüssig?

Jörn Holtmeier: Nein. Rein digitale Events haben bisher weder in Deutschland noch im Ausland kaum je die Größenordnungen realer Messen erreicht. Das mag daran liegen, dass alle Beteiligten noch Erfahrungen sammeln müssen. Digitale ­Formate bieten aktuell eine gute Möglichkeit, Kundenkontakte zu pflegen und Informationen zu vermitteln. Aber sichtbar wird auch, dass digitale Formate, gemessen am reduzierten Nutzen, großen Aufwand bei allen Beteiligten erfordern. Bei der ­Gewinnung neuer Kunden haben sie aus Sicht vieler Aussteller sogar erhebliche Schwächen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die oft relativ wenige Marketinginstrumente einsetzen, sind skeptisch gegenüber diesen ­Formaten. In Zukunft werden wir wieder starke Präsenzmessen sehen. Sie werden ­jedoch digitale Beteiligungsmöglichkeiten bieten, auch, um neue Zielgruppen anzusprechen.

Also geht der Trend zu Hybridver­anstaltungen?

Ganz klar. Die Mehrheit der Aussteller will wieder physische Messen mit all ihren Vorteilen, aber Reisebeschränkungen werden noch länger die Zahl internationaler Teilnehmer begrenzen. Deshalb brauchen wir diese Mischform, das gilt für Veranstalter ebenso wie für Aus­steller. Rein digitale Events mögen für einige Spezialbranchen auch mittelfristig eine interessante Alternative sein, für die Mehrzahl der Branchen sehe ich das aber nicht. Bei realen Messen werden ergänzende digitale Produktpräsentationen deutlich an ­Bedeutung gewinnen, durch den Einsatz von Augmented und Virtual Reality, gerade in technologieorientierten Branchen. Diese Entwicklung hat übrigens schon vor ­Corona begonnen. Eine Ausstellerbefragung des Auma im Herbst 2019 hat ergeben, dass 30 Prozent der Firmen mit mehr als 125 Millionen Euro Umsatz künftig Virtual Reality einsetzen wollen.

Wie sind deutsche Veranstalter in ­Sachen Digitalisierung positioniert?

Die deutschen Messegesellschaften haben über viele Jahre systematisch Prozesse digitalisiert – von Bestell­prozessen über Besucherregistrierung und Einlass bis zu Informationssystemen. Das hat die Abläufe erheblich vereinfacht. Die Digitalisierung der Messen selbst stand nicht im Vordergrund, denn die Messe­teilnehmer wollen den persönlichen Kontakt, das ­Testen realer Produkte und das ganzheitliche ­Erleben einer Branche. Das haben Ausstellerbefragungen noch Ende 2019 deutlich bestätigt. Sicherlich sind Dienstleistungen leichter digital zu präsentieren als etwa Industrieprodukte. Digitalisierung ist aber ein zentrales Thema auf allen Investitionsgütermessen – Stichwort: Industrie 4.0 – ebenso wie auf Messen im Bereich Consumer ­Electronics.

In China haben die ersten Messen schon im Juli 2020 wieder physisch stattgefunden – mit bemerkenswert vielen Teilnehmern in den Hallen. Zahlt es sich also aus, dass deutsche Messe­gesellschaften in den vergangenen ­Jahren stark auf Auslandsmessen gesetzt haben?

Das erweist sich jetzt in der Tat als ein besonderer Vorteil, denn das Risiko wird gestreut. Ohne dieses Auslandsgeschäft wären die Umsatzrückgänge noch stärker ausgefallen. Diesen Risikoausgleich wird es wohl auch im Jahr 2021 geben, wobei kaum vorherzusagen ist, wie die Pandemie weltweit weiter verläuft. Und mittelfristig ist es natürlich von Vorteil, dass die deutschen Veranstalter ihre Aktivi­täten auf Wachstumsregionen ­konzentriert haben, wie etwa Süd- und Ost­asien oder die Golfregion. Vielen Veranstaltern ist es dabei gelungen, ein ganzes Netz von Messen bestimmter Branchen zu spannen, um so in den meisten relevanten Märkten mit einer Messemarke präsent zu sein.

Welche Vorteile hat ein deutscher Aussteller, der in China eine Veranstaltung, etwa der Hannover Messe, besucht, im Vergleich zu einem Event chinesischer Konkurrenzveranstalter?

Er findet ein Messekonzept vor, das er von seiner deutschen Messe kennt, er hat vertraute Ansprech­partner oder zumindest Partner, die seine Sprache sprechen. Deutsche Veranstalter haben international den Ruf, langfristig zu planen und zu handeln: Das schafft Vertrauen auch bei Ausstellern aus anderen Ländern und auch bei den hochwertigen Fachbesuchern der jeweiligen Branchen. So steigt dauerhaft die Qualität der Messen. Dazu kommt eine hohe Organisations- und Servicekompetenz, ein wesentliches Plus in Ländern, in denen sich der Aussteller vielleicht noch nicht gut auskennt.

Corona zwingt zu digitalen Formaten, das physische Messegeschäft läuft erst mal nur im Ausland an: Verliert die ­klassische Weltleitmesse in Deutschland an Strahlkraft?

Das ist nicht erkennbar. Die deutschen Weltleitmessen hatten vor der Pandemie eine dauerhafte Strahlkraft, mit rund 3,2 Millionen ausländischen Besuchern im Jahr 2019, so viele wie im Rekordjahr 2016. Der Anteil außereuropäischer Teilnehmer ist sogar noch gestiegen, vor allem aus Ostasien. Jährlich rund 100.000 Besucher aus China, jeweils rund 50.000 aus Indien und Japan, aber auch 80.000 aus den USA sprechen eine deutliche Sprache. Die Zahl der Aussteller aus dem Ausland war 2019 nochmals um 3,5 Prozent gestiegen. Generell wissen die internationalen Teilnehmer also, welche Messequalität und ­welche Infrastrukturqualität sie in Deutschland vorfinden. Und dieses Wissen wird trotz der weltweit schwierigen Rahmenbedingungen für ­Messen nicht verschwinden. Im Gegenteil: Das aktuelle ­Engagement der deutschen Veranstalter, ihre Messen auf die neuen Rahmenbedingungen auszurichten und dafür auch digitale Brücken zu schaffen, wird international hochgeschätzt. Das zeigen auch die aktuellen Beteiligungszahlen an digitalen Formaten. Deutschland ist fest entschlossen, Messeland Nummer eins zu bleiben. Die Chancen dafür stehen gut.

Vielen Dank für das Interview!