Wir packen das!
Corona hat auch in der Verpackungsbranche Trends beschleunigt. Unternehmen suchen nach nachhaltigen Alternativen zu Einwegverpackungen. Die Industrie muss sich anpassen, denn weltweit verschärfen Regierungen die Gesetzgebung.
April 2021
Autoren: Jenny Eberhardt und Quentin Blommaert
Die finnische Molkerei Valio füllt die Milch, die sie aus Russland bezieht, seit Neuestem in Tetra Paks ab, die zu 80 Prozent aus pflanzlichen Rohstoffen bestehen. Die Biokartons kommen aus Deutschland und Italien. Der Sankt Petersburger Käsehersteller Neva Milk hat gemeinsam mit dem süddeutschen Maschinenbauer Multivac eine spezielle Kunststoffpackung entwickelt, die weniger Materialeinsatz erfordert und sich schnell zersetzt. Und sein ebenfalls deutscher Konkurrent Optima testet in Brasilien die Umstellung von Plastik auf Papier, zumindest für Kunden, die sich solche grünen Verpackungen wünschen.
Drei Beispiele für internationale Projekte deutscher Verpackungstechniker. Sie alle zeigen: Der Trend in der Branche geht mit Macht in Richtung Nachhaltigkeit. Für deutsche Unternehmen ist das Herausforderung und Chance zugleich. Mit innovativen, nachhaltigen Produkten schlagen hiesige Anlagenbauer, Kunststoff- und Papierspezialisten drei Fliegen mit einer Klappe. Sie stellen sich auf die Wünsche ihrer Kunden ein. Sie bereiten sich auf die weltweit schärferen gesetzlichen Regeln vor, die in den nächsten Monaten und Jahren auf sie zukommen. Und sie lassen die Betriebskosten in der Verpackungstechnik sinken – zumindest mittel- bis langfristig.
USA – Herausforderung Covid-19
Von Heiko Steinacher, San Francisco
Die Coronapandemie treibt in den USA die Nachfrage nach Verpackungen an. Beispiele sind der Run auf abgepackte Lebensmittel und der boomende E-Commerce, was sich auch bei Füll- und Schutzmaterial bemerkbar macht. Einwegplastikbeutel, die in einigen Bundesstaaten bereits weitgehend verbannt worden waren, feiern ein Comeback: In vielen Supermärkten gibt es sie sogar gratis. Mehrwegtragetaschen sind dagegen verboten, um Covid-19 einzudämmen. Auch der Verbrauch von Einwegartikeln wie Plastikgeschirr oder -besteck ist in den USA enorm: Schätzungsweise 561 Milliarden Stück nutzen die US-Amerikaner jährlich, nur etwa acht Prozent der Kunststoffabfälle werden recycelt. Nach Corona werden Nachhaltigkeitstrends wie Recycling, Biokunststoffe und Gewichtsreduzierung aber wieder in den Vordergrund rücken. Auch digitale Lösungen zur Rückverfolgung von Produkten werden wichtiger, zum Beispiel, um sie zur Wiederverwertung an Hersteller zurückschicken oder den Ursprung verwendeter Rohstoffe zurückverfolgen zu können. Der Trend zur Verpackungsautomatisierung setzt sich auch während der Krise fort: Robotik kommt in fast jedem Bereich des Verpackungsprozesses zum Einsatz.
Die Coronapandemie hat auch in der Verpackungsindustrie Trends beschleunigt, die sich längst abgezeichnet hatten. Ausgangspunkt: Es sind immer mehr Verpackungen im Umlauf, denn die Nachfrage explodiert geradezu. Das liegt vor allem am weltweit wachsenden Onlinehandel. Beispiel Russland: Hier wird sich dessen Umsatz bis zum Jahr 2024 auf 90 Milliarden Euro verdreifachen. In China ist bereits die Rede von einem „Tsunami“ angesichts der gigantischen Verpackungsmengen, die durch Onlineplattformen entstehen.
Produkte im Wert von 76 Milliarden US-Dollar, verpackt in 675 Millionen Päckchen und Pakete, verschickt quer durchs ganze Land: Das ist laut dem Mediendienst Bloomberg die jüngste Rekordbilanz von Chinas E-Commerce-Shoppingkampagne zum 11. November 2020, dem alljährlich wiederkehrenden Singles’ Day. Greenpeace sieht Chinas E-Commerce-Verpackungsmüll von 9,4 Millionen Tonnen 2018 auf 41 Millionen Tonnen 2025 wachsen. 70 Prozent der chinesischen Expresslieferungen beruhen inzwischen auf E-Commerce-Bestellungen.
Für die Hersteller von Verpackungsmaschinen sind das erst einmal gute Nachrichten: Mit Wachstumsraten von bis zu 30 Prozent war 2020 zum Beispiel in Brasilien ein Rekordjahr für die Branche. Auch für dieses Jahr erwarten Multivac und Optima, deutsche Maschinenbauer mit Produktion vor Ort, eine hervorragende Auftragslage. Doch jeder in der Branche weiß auch: Dieses Wachstum kann so nicht weitergehen, denn der Planet erstickt im Müll. Allein die US-Amerikaner verbrauchen jährlich 561 Milliarden Einwegartikel, schätzt die Overbrook Foundation in New York. Und nur etwa acht Prozent der Kunststoffabfälle werden in den USA recycelt. Das ist weniger als die Hälfte der deutschen Recyclingquote – und die halten viele Experten schon für viel zu niedrig.
Vera Fritsche vom Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) nennt Nachhaltigkeit „das Thema, das uns heute und auch in Zukunft beschäftigt“. Die entscheidende Frage lautet: Wie bekommt die Branche die gewaltigen und ständig wachsenden Verpackungsmengen mit dem Thema Umweltschutz unter einen Hut? Gleichzeitig müssen moderne Verpackungen die Wünsche immer anspruchsvollerer Kunden an den Komfort erfüllen. Viele Industrien kommen ohne Verpackungen schlicht nicht aus. Sie brauchen sie für den Transport von Gütern, aus hygienischen Gründen, etwa um verderbliche Lebensmittel zu schützen und die Haltbarkeit zu verbessern, oder um Medizinprodukte steril zu halten.
Äthiopien – Qualität fehlt
Von Ulrich Binkert, Reisekorrespondent Afrika, Bonn
Die meisten Hersteller von Nahrungsmitteln in dem ostafrikanischen Land importieren die Verpackungen für ihre Produkte. Was vor Ort produziert wird, läuft in der Regel von günstigen chinesischen Maschinen, etwa die einfachen Knotenbeutel für das Gemüse vom Markt. Der Grund: „Große Nahrungsmittelproduzenten hier wären froh, wenn unsere Maschinen im Land wären“, sagt dazu der Manager eines deutschen Anbieters von Verpackungstechnik. „Nur haben wir noch keine einzige Anlage im Markt verkauft. Mögliche Kunden haben einfach keine Devisen dafür.“ Estifanos Samuel macht deutschen Anbietern Mut. „Die rapide Währungsabwertung macht ausländische Verpackungen einfach zu teuer“, meint der Unternehmensberater in Addis Abeba. „Und hier gehen demnächst bestimmt zwanzig neue Kekshersteller an den Start.“
Brasilien – Billigkunststoff
Von Gloria Rose, São Paulo
Mit Wachstumsraten von bis zu 30 Prozent erlebten die Hersteller von Verpackungsmaschinen 2020 ein Rekordjahr in Brasilien. Auch für dieses Jahr erwarten Multivac und Optima, deutsche Maschinenbauer mit Produktion vor Ort, eine hervorragende Auftragslage. „Der Trend zu industrialisierten Fleisch- und Wurstprodukten und somit auch zu mehr Verpackungen wird sich intensivieren“, prognostiziert Michael Teschner, der Multivac in Brasilien vertritt. Multivac entwickelt zurzeit neue Verfahren für nur dünn beschichtete Pappverpackungen. Optima testet die Umstellung von Plastik auf Papier. „In Lateinamerika sind die Märkte sehr stark preisorientiert“, sagt Rolf Geissinger, Leiter der brasilianischen Produktionsniederlassung der Optima Packaging Group GmbH. Ohne steuerliche Anreize sind Pappe oder Glas für viele Verpackungen im Vergleich zu Kunststoffen einfach zu teuer.
Mittelstand zeigt sich erfinderisch
Besonders letzterer Aspekt rückte mit der Covid-19-Pandemie wieder mehr in den Vordergrund. „Flexible Verpackungen müssen einen Beitrag zur Hygiene, Sicherheit und Haltbarkeit von Produkten leisten – von der steril verpackten Spritze bis zu länger haltbaren Lebensmitteln“, sagt Peter Steinbeck, CEO des Verpackungsmaschinenherstellers Windmöller und Hölscher. Die Entwicklung zu mehr Nachhaltigkeit bei Verpackungen setzt sich trotzdem ungebrochen fort. „Das ist heute Teil fast jeden Kundengesprächs“, sagt Steinbeck. (Lesen Sie hier das ganze Interview.)
Die mittelständisch geprägte deutsche Verpackungsindustrie ist flexibel und erfindungsreich genug, um den Spagat zu schaffen, sind Experten überzeugt. Bei Windmöller und Hölscher beispielsweise gibt es eine eigene Retrofit-Abteilung, in der ältere Anlagen nachgerüstet werden, um den steigenden Ansprüchen in aller Welt zu genügen. Wichtigste Absatzmärkte des Verpackungsmaschinenbauers aus dem Münsterland sind neben Europa Nordamerika und Asien, insgesamt exportiert Windmüller und Hölscher in mehr als 130 Länder.
Nicht ungewöhnlich für die Branche: Laut VDMA liefern die meisten deutschen Verpackungsmaschinenhersteller ihre Maschinen und Anlagen weltweit und generieren mehr als 80 Prozent ihrer Umsätze im Ausland. Die Exporte lagen zwischen Januar und November 2020 coronabedingt zwar fünf Prozent unter dem vergleichbaren Vorjahreswert, aber immer noch bei stolzen fünf Milliarden Euro. Die wichtigsten Konkurrenten der deutschen Weltmarktführer kommen aus Italien: Die starke Position italienischer Verpackungsmaschinenhersteller hat ihrer wichtigsten Heimatregion sogar den Namen gegeben: Aus dem Packaging Valley in der Region Emilia-Romagna beliefern sie nicht nur die einheimische Lebensmittel-, Getränke- und Pharmaindustrie, sondern auch den Weltmarkt, insbesondere die USA, Frankreich und Spanien.
Gesetzgeber weltweit ziehen Zügel an
Auch Spanien selbst verfügt über eine breit aufgestellte Verpackungsindustrie. Sie stellt Produkte aus Glas, Kunststoff, Metall und Karton für den Binnenmarkt und vielfach auch für den Export her. Große Trends in Spanien sind – natürlich – Recyclingmaterialien und innovative Werkstoffe.
Die Branche muss sich allein deshalb schon intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit befassen, weil Gesetzgeber weltweit die regulatorischen Zügel anziehen. Verbote von Einwegplastik finden in vielen Ländern großen Zuspruch. Politische Vorgaben gegen Kunststoffe kommen häufig von der EU, die Mitgliedstaaten setzen sie lediglich um.
Doch längst beschränkt sich solch umweltbewusste Gesetzgebung nicht mehr nur auf Europa und dort auf die üblichen Musterschüler im Norden. In Spanien zum Beispiel hat die Regierung das Fernziel einer 100-prozentigen Kreislaufwirtschaft ausgerufen. Bis zum Jahr 2022 strebt auch die chinesische Regierung ein vollständiges Standard- und Anreizsystem für umweltfreundliche Verpackungen an. Erste Richtlinien dazu hat sie bereits erlassen. Bescheidene Erfolge zeigt in der Volksrepublik das Verbot von Tüten, Strohhalmen sowie Einwegtellern und Besteck aus Plastik in Supermärkten, Hotels und Restaurants großer Pilotstädte.
Neben gewöhnlichen Materialien wie Glas, Papier und Kunststoff auf fossiler Basis entstehen allerorten auch zukunftsträchtige Verpackungsmaterialien aus biologischen und nachwachsenden Rohstoffen. Erste Großkonzerne versuchen, zumindest den Plastikanteil zu reduzieren. Maschinenbauer Multivac entwickelt aktuell neue Verfahren für nur dünn beschichtete Pappverpackungen.
Das Familienunternehmen Alfred Ritter GmbH, bekannt für seine Schokoladenmarke Ritter Sport, setzt vor allem auf Papier. „Aus unserer Erfahrung gibt es weltweit für Papier die meisten Sammelsysteme“, sagt Petra Fix, zuständig für Nachhaltigkeitskommunikation beim Schokoladenhersteller. Damit sei es am besten für eine Wiederverwertung geeignet. Im vergangenen Jahr hat Ritter den Papierprototyp der typischen Knicktafel-Verpackung getestet. Das Ergebnis war „sehr positiv“, sagt Fix. (Lesen Sie hier das ganze Interview.)
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