Neues Spiel, neues Glück

Nach häufigen Wechseln regiert in Italien seit November 2022 nun eine vermeintlich stabilere Exekutive. Doch was ist wirtschaftlich vom Kabinett um Ministerpräsidentin Giorgia Meloni zu erwarten?

Februar 2023
Autor: Oliver Döhne

Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni jubelt. Doch die europäischen Nachbarn blicken mit Sorge auf den Wahlsieg des Bündnisses rechtspopulistischer und konservativer Parteien. © Gianni Cipriano/NYT/Redux/laif

Finanzminister Giancarlo ­Giorgetti skizziert den künftigen Kurs seines Landes mit den Worten „umsichtig, aber auch pragmatisch“. Kein Wunder, liegt doch Italien beim Verhältnis der Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt in der Europäischen Union (EU) nur noch vor Griechenland. Jeden finanziellen Spielraum müssen sich die Italiener hart erkämpfen.

Mit Umsicht will die neue Regierung deshalb in den kommenden Jahren die Schulden verringern, mit Steuersenkungen möglichst vorsichtig sein und die Hilfsgelder des Aufbau- und Resilienzfonds der EU wie vereinbart in nachhaltige und innovative Projekte investieren. Dabei scheint die Energie- und Rohstoffpolitik den Vorrang vor der Umwelt- und Klimapolitik zu haben.

Nach den ersten Wochen im Amt sind bereits einige politische Schwerpunkte der neuen Regierung erkennbar.

Energie: mehr Tempo nötig

Beim Ausbau von Windkraft und Solarenergie ist Italien momentan noch weit davon entfernt, die Ziele für 2030 zu erreichen. Die neue Regierung will deshalb die Genehmigungsprozesse radikal beschleunigen. Zudem sollen Energie und kritische Rohstoffe aus Abfällen wiedergewonnen werden. Trotz Green Deal will Italien künftig wieder mehr Gas fördern und erneut an Nuklearenergie forschen, um die Energiesicherheit zu gewährleisten. Für die zahlreichen Vorhaben und Reformen des Resilienzfonds wünscht sich Italien mehr Zeit als nur bis 2026.

Pragmatisch soll die Hilfe für Familien und Unternehmen gegen die hohen Energiekosten ausfallen. Dazu will Giorgetti im Jahr 2023 zunächst mehr neue Schulden machen, als vom Europäischen Stabilitätspakt vorgesehen. Dabei kommt ihm die mittlerweile flexiblere Linie Brüssels entgegen.

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Umwelt: EU-Vorgaben reduzieren

Von Europa will sich die neue Regierung in Sachen Umweltpolitik weniger vorschreiben lassen. Anfang November verkündete Umwelt- und Energieminister Gilberto Pichetto Fratin bereits seine Absage an die geplante EU-Norm für die Wiederverwendung von Verpackungen. Italien befürchtet Nachteile für seine fortgeschrittene Recyclingwirtschaft und will wohl auch die einheimische Verpackungsmittelindustrie schützen.

Digitalisierung: Pioniere profitieren

Unternehmen, die Industrie-4.0-Ausrüstung anschaffen, die sie digitaler, aber auch energieeffizienter und schadstoffärmer produzieren lässt, erhalten Steuergutschriften, auch wenn die dafür notwendige Technologie oder Software aus Deutschland kommt. Das macht Italien schon jetzt für viele deutsche Exportbranchen zu einem der wichtigsten Absatzmärkte und auch in der digitalen Umwelt- und Energietechnik zunehmend interessant. Allerdings: Für die Themen digitaler Wandel und Innovation ist künftig kein Minister, sondern nur noch ein Staatssekretär zuständig. Das wirft die Frage auf, welche Priorität diese Themen künftig tatsächlich haben werden.

»Italien und Deutschland sind sich industriell ähnlich und daher oft beides: Konkurrent und Partner.«

Oliver Döhne
Germany Trade & Invest Mailand

Lesen Sie hier seine Marktprognose zu Italien.

Infrastruktur: große Projekte geplant

Der Hafenausbau rückt künftig in den Fokus, um Italiens zentrale Lage am Mittelmeer besser zu nutzen. Ein Herzensprojekt des Regierungspartners Lega ist eine Brücke zwischen Kalabrien und Sizilien. Auch der Bahnausbau, an dem bereits zahlreiche deutsche Lieferanten beteiligt sind, umfasst hohe Milliardeninvestitionen.

Bildung: mehr Geld fürs Lernen

Dem Präsidenten des Industriedachverbands Confindustria, Carlo Bonomi, gefiel an Melonis Antrittsrede laut Medienberichten besonders ihr Fokus auf den Bildungssektor, einer Schwachstelle Italiens. Mangels Perspektiven wandern viele Talente ins Ausland ab und fehlen den Unternehmen im digitalen und grünen Wandel. Bessere Löhne für Lehrer, mehr technisches Equipment und auf Leistung basierende Stipendien sind hier die Ansatzpunkte.

Insgesamt adressiert das Regierungsprogramm die meisten wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes, auch wenn in den Punkten Nachhaltigkeit und Digitalisierung noch einige Fragezeichen bleiben. Da sich die Regierungskoalition in den Grundsätzen einig ist, könnte sie eine längere Lebenszeit haben, als in Italien üblich. Von einer solchen Stabilität und dauerhaften und kohärenten Modernisierungsprojekten würden auch deutsche Unternehmen profitieren.

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