»Die deutsche Volkswirtschaft ist einer der größten Nutznießer guter Handelsregeln«
Volker Treier ist Außenwirtschaftschef und Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Im Interview mit Markets International erklärt der Volkswirt, warum die WTO besonders für kleine und mittelständische Exporteure wichtig ist.
Oktober 2021
Welche Bedeutung hat die WTO für den deutschen Außenhandel?
Volker Treier: Die deutsche Volkswirtschaft ist mit jährlichen Einkommensgewinnen in Höhe von 66 Milliarden US-Dollar einer der größten Nutznießer guter Handelsregeln und offener Märkte – sprich: eines funktionierenden Welthandels. Dabei spielt die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) eine entscheidende Rolle: Heutzutage fließen fast 60 Prozent des Welthandels zollfrei über die Grenzen der WTO-Mitgliedstaaten.
Wie können exportorientierte deutsche Unternehmen die WTO für sich nutzen?
Volker Treier: Ohne die Welthandelsorganisation wäre ein erheblicher Teil des deutschen Außenhandels mit signifikant höherer Rechts- und Planungsunsicherheit konfrontiert und könnte sich gegen unfaire Behandlung in Drittstaaten nur schwer zur Wehr setzen. Ein multilateraler Ansatz im Rahmen der WTO ist und bleibt somit aus Sicht der deutschen Wirtschaft der beste Weg zur Öffnung von Märkten und zum Abbau von Handelsschranken.
»Es sollte darum gehen, Lücken im WTO-Regelwerk zu schließen, etwa bei Subventionen oder beim elektronischen Handel«
Volker Treier
Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK)
Wie hat sich die Rolle der WTO in den vergangenen Jahren verändert?
Volker Treier: Seit einigen Jahren ist die multilaterale Kooperation für offene Märkte ins Stocken geraten. Die Welthandelsregeln halten mit den großen wirtschaftlichen Veränderungen, die seit Gründung der WTO im Jahre 1995 eingesetzt haben, leider nicht Schritt. Zudem sind die WTO-Regeln, die 98 Prozent des Welthandels abdecken, durch die jüngste Erosion des WTO-Streitschlichtungsmechanismus gefährdet. Die US-Blockade gegen die Nachbesetzung von Richterstellen hat die bindende Streitschlichtung der WTO zurzeit lahmgelegt. Jedes Land kann nun eine Niederlage im Streitverfahren einfach umgehen, indem es Berufung einlegt.
Die WTO gilt als dringend reformbedürftig, denn die handelsliberalisierenden Regeln des WTO-Rechts sind auf dem Stand von 1995. Wie muss sich die Organisation verändern?
Volker Treier: Neben der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der WTO-Streitschlichtung sollte es darum gehen, Lücken im WTO-Regelwerk zu schließen, etwa bei Subventionen oder beim elektronischen Handel. Auch sollten interne Abläufe effizienter werden. Für die deutsche Wirtschaft ist es dabei besonders wichtig, dass sich die Welthandelsorganisation auf eine Agenda für kleine und mittlere Unternehmen verständigt, um dem Mittelstand größere Chancen in der Einbindung in globale Wertschöpfungsketten zu eröffnen. Zudem laufen derzeit wichtige WTO-Verhandlungen für ein Gesundheits- sowie ein Umweltgüterabkommen, mit Blick auf Handel, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, Investitionserleichterungen und im Beschaffungswesen sowie im Dienstleistungsbereich. Die Agenda ist also proppenvoll.
Immer mehr Staaten setzen auf bilaterale Handelsabkommen. Hat die Institution WTO nicht vielleicht sogar ausgedient?
Volker Treier: Die EU wendet 45 Handelsabkommen mit 77 Ländern an, die ein Drittel des EU-Außenhandels abdecken. Abkommen mit 53 Ländern stehen vor der Ratifizierung oder werden verhandelt. All diese Abkommen bauen auf den WTO-Errungenschaften auf. Außerdem bleibt ein einheitliches globales Regelwerk samt Streitbeilegung und Verhandlungsfunktion für neue Themen für international tätige deutsche Unternehmen unerlässlich. Gerade bei Zöllen bedeutet ein Ausbau bilateraler Abkommen mit unterschiedlichen Regeln immer auch eine zunehmend komplexe Handhabung, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Selten war also eine funktionierende, sich modernisierende Welthandelsorganisation für unsere international aktiven Unternehmen so notwendig wie heute.
Service & Kontakt
Die Welthandelsregeln sind kompliziert. Wir erklären GATT & Co. am Beispiel eines Fahrradexports in die Ukraine. Zum Artikel: „Welthandelsorganisation: Im Räderwerk“.
Wollen sie mehr wissen? Wichtige Fragen und Antworten rund um WTO, GATT und GATS. Die Welthandelsregeln in sechs Punkten.
Kommentare (0)
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!